Einführung der Gasbeleuchtung in Stargard 1856

Dietrich Otto
HKB Stargard

In dem Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann ist zum Zeitpunkt 1848 zu lesen: “Es war bald sechs Uhr, und obgleich die Dämmerung weit fortgeschritten war, hingen die Öllampen unangezündet an ihren Ketten“. Wenige Jahre später äußert sich Konsul Buddenbrook: „Ich kann nicht sagen, welche Genugtuung ich empfinde, dass nun die Arbeiten für die Gasbeleuchtung begonnen haben und endlich die fatalen Öllampen mit ihren Ketten verschwinden.“ Diese Äußerungen beziehen sich auf Lübeck.

Der 1. April 1814 kann als Tag der Einführung der öffentlichen Gasbeleuchtung gelten. An dem Tag hat ein Stadtteil von London die Ölbeleuchtung aufgegeben und sie durch die Gasbeleuchtung ersetzt. Bald folgten auch viele Städte auf dem Kontinent, in Berlin bemühte man sich ab 1925 um die Einführung der Gasbeleuchtung. Vom Anfang der 50ziger Jahre nahm die Verbreitung der Gasbeleuchtung rasch zu. 1826-1849 wurden 35 Anstalten, 1850-1859  176, 1860-1869  340 und 1870-1875 wurden 51 Anstalten in Deutschland errichtet. Diese Angaben sind dem 1902 erschienenen Buch „Die Entwicklung der Beleuchtungstechnik“ von Heinrich Hess entnommen. Das Buch ist vollständig im Internet enthalten.

Gasaktie

Die hier abgebildete Aktie Nr. 661 wurde am 22. März 1858 herausgegeben und von der Kommune von Stargard erworben. Innen und rückseitig befinden sich ausführliche Statuten des Unternehmens. Die Abbildung unten stellt das Gaswerk in Stargard dar, das zeigt auch ein Vergleich mit einer Abbildung von 1900. Das Stadtwappen und verschiedene Gaslaternen umranden die Aktie. Die Größe beträgt 40,8 cm x 25,7 cm. Der Wert beträgt 100 Taler Preußisch Courant.

Die folgenden Ausführungen zu der Gasbeleuchtung in Stargard sind einem Artikel von W. Kornhardt, Direktor mehrerer Gasanstalten, aus dem Jahre 1859 entnommen, ergänzt durch einige Anmerkungen: Die Gasanstalt in Stargard ist von einer Aktiengesellschaft errichtet, der die Stadt für 70.000 Taler Baukapital 4% Zinsen garantiert, dafür aber auch die Hälfte des Gewinns über 5% zugesichert erhalten hat. Das Grundkapital der Gesellschaft besteht aus 75.000 Talern, von denen die Stadt 20.000 Taler gezeichnet hat. Die Anstalt ist im November 1856 eröffnet, im Jahre 1858 ist der Betrieb durch Aufstellung einer Dampfmaschine nebst Exhaustor erweitert, in diesem Jahr wird ein zweiter Gasometer angelegt werden.

Für das 1. Betriebsjahr 27. November 1856 bis 1. Juli 1857 sind die 4%, welche die Stadt garantiert hat, nach Berechnung des Komitees der Aktiengesellschaft nicht vollkommen aufgekommen und verlangt dasselbe daher von der Stadt den Ersatz des Fehlenden zum Betrag von 421 Talern. Der Ansicht der städtischen Behörden nach, beruht jedoch diese Berechnung auf irrigen Annahmen und wird es daher schließlich auf die Entscheidung eines Schiedsgerichts ankommen, ob die Stadt zur Zahlung der genannten Summe verpflichtet ist.

Die Resultate des 2. Betriebsjahres 1. Juli 1857-1858 sind sehr günstig für die Stadt. Dasselbe hat nämlich für die Aktionäre eine Dividende von 7,5% ergeben, also von dem Aktienkapital der Stadt 1500 Taler (20.000 x 0.075), dazu die Hälfte des Reingewinns a 2,5% 1716 Taler (70000 x 0,025), so dass der ganze Erlös der Stadt aus der Anstalt 3216 Taler beträgt und der Gewinn nach Abzug der Zinsen für das Aktienkapital a 5% 1000 Taler (20000 x 0,05)= 2216 Taler. Diese Rechnung ist für mich nur bedingt nachvollzierbar.

Gaswerk Stargard 1992

Gaswerk in Stargard 1992

Im Jahre 1855 betrugen die Kosten der Straßenbeleuchtung 1012 Taler, im Jahre 1856 die der Ölbeleuchtung vom 1. Januar bis 17. November 1563 Taler, die der Gasbeleuchtung bis ultimo Dezember inklusive Ölbeleuchtung der Vorstädte 424 Taler, zusammen 1987 Taler, im Jahre 1857 2102 Taler. Die Straßen und öffentlichen Plätze der Stadt sind durch 172 Gasflammen beleuchtet, dazu kommen in dem Teil der Vorstädte, wo noch keine Gasrohre liegen, 35 Öllaternen. Von den Gaslaternen brennen 35, von den Öllaternen 2 die ganze Nacht, die übrigen nur bis 11 Uhr abends unter Berücksichtigung des Mondscheins.

An anderer Stelle vermerkt W. Kornhardt. Zur Bekräftigung des Vorhergehenden will ich die Resultate der von mir erbauten Anstalt zu Stargard i. P. anführen. Am 7. Juni 1856 schloss ich Kontrakt über die Ausführung, am 27. November haben wir die Anstalt mit 170 Straßenflammen und den bis dahin fertigen Privatflammen eröffnet. Die Stadt hat 14.000 Einwohner, und liegt die Anstalt 1800 Fuß von der Stadt entfernt. Die Hauptröhren sind 6‘‘, der erste Gasometer hat 15.000 c‘ Inhalt; jetzt wird der zweite gebaut. Anmerkung: Die Maßeinheit ‘‘ bedeutet Zoll (2,54 cm). Die Maßeinheit c‘ bedeutet Cubikfuß preußisch. 100 preußische Cubikfuß entsprechen 2,5987 Kubikmeter. Die Einheit Kubikmeter wurde erst 1860 eingeführt.

Der Betrieb war vom 1. Juli 1858 bis dahin 1959 folgender:

Es sind überhaupt fabriziert   5.204.000 c‘ pr.
und hiervon verwertet:    
Privatgas mit Gasmessern 3.958.500 c‘ pr.  
Privatgas ohne Gasmesser 60.405 c‘ pr.  
zur Stadtbeleuchtung 961.160 c‘ pr. 4.980.065 c‘ pr.
daher unverwertet   223.935 c‘ pr.

Hierin sind erhalten: der eigene Verbrauch von 5 Laternen von der Anstalt bis zur Stadt und der Selbstverbrauch auf der Anstalt, welcher ca. 103.000 c‘ betragen mag, so dass die eigentlichen Verluste durch Undichtigkeit des Röhrensystems höchstens 120.000 c‘ pro Jahr betragen können. Ich hatte beim Abschluss des Kontraktes 1856 selbst die Bedingung gestellt, dass ich den täglichen Verlust des Röhrensystems als höchstens 500 c‘ betragend, garantiere, und bin, wie die obige Nachweisung zeigt, noch darunter geblieben.

1879 ist die Gasanstalt für 420.000 Mark in städtischen Besitz übergegangen. 1896 wurde in Stargard ein Wasserwerk errichtet.

Die Zuarbeit zu diesem Artikel habe ich von Frau Erika Radtke und Herrn Rolf Gassmann erhalten.

In dem Buch von Joachim Stampa "Stargard in Pommern und seine Gotteshäuser" ist zu lesen: 1857 wurde die Marienkirche ganz modern. Für runde 1.000 Taler wurde eine Gasbeleuchtung eingebaut. Die bisher üblich gewesene Kerzenbeleuchtung hatte jährlich 75 Taler verschlungen, das Gas würde im Jahr nur 26 Taler kosten und dabei brannten doch jetzt 37 Gasflammen.

zurück zum Inhaltsverzeichnis