Wohnungsnot in Stargard nach dem Ersten Weltkrieg

Stadtbaurat Schröder
"Stargard i. Pom Seine städtebauliche Entwicklung bis zur Gegenwart" 1927 S. 31-44

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Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, während dessen vierjähriger Dauer jede Bautätigkeit bis auf ganz wenige Sonderfälle ruhen musste, erhob ein Gespenst sein Haupt, das in solcher grauenvollen Größe noch keine Kulturperiode der Menschheit gesehen hatte, und unter dessen schwerem Druck alle unmittelbar vom Kriege betroffenen Nationen zu leiden haben, am allerhärtesten jedoch Deutschland: die Wohnungsnot! Und da ist wieder Stargard zu denjenigen Städten zu rechnen, die am schwersten von dieser herben Not heimgesucht wurden; zum mindesten dürfte es in der Provinz Pommern keine Stadt geben, die in so ganz außerordentlichem Maße unter dieser Last zu seufzen hatte und noch hat, wie gerade Stargard.

Die Gründe hierfür sind mehrfacher Art. Schon in der Vorkriegszeit herrschte in Stargard im Gegensatz zu den meisten anderen Städten eine fühlbare Wohnungsknappheit. Bei der Zusammendrängung der deutschen Bevölkerung durch Zustrom der Ostflüchtlinge wurde Stargard sodann als erster größerer Eisenbahnknotenpunkt von Osten her besonders betroffen. Unter diesen Flüchtlingen befanden sich sehr viele Eisenbahner. Infolge starken Ausbaues des Eisenbahnausbesserungswerkes Stargard unter gleichzeitigem Abbau der Werke in Greifswald und Stolp zog die Reichsbahnverwaltung aber außerdem eine gewaltige Zahl von Angestellten und Arbeitern mit ihren Familien in die Stadt, ohne dass sie ihnen hätte Wohnungen zuweisen können. In dieser mit elementarer Gewalt über die Stadt hereinbrechenden Not konnten zunächst nur Notunterkünfte geschaffen werden.

Karowsche Mühle

Karowsche Mühle - Bild von B.TH. Dietrich-Dirschau

Die Reichsbahnverwaltung errichtete dürftige Wohnbaracken in unmittelbarer Nähe der Werkstätten für 56 Familien; über 90 Familien wurden in einem Kasernenblock auf das aller bescheidenste untergebracht, indem je zwei Familien eine große Mannschaftsstube erhielten, die sie durch Aufstellung ihrer Schränke in einer Mittelreihe zu zwei Wohnungen ausgestalteten. Wie schwer die Wohnungsnot immer noch ist, trotz allem, was bisher geschaffen wurde, wird grell beleuchtet durch die Tatsache, dass in dieser primitiven und vom moralischen Standpunkt bedenklichen Weise selbst heute, nach über sieben Jahren, noch 71 Familien hausen!

Die Stadt schuf noch im Herbst 1919 52, und im Frühjahr 1920 70 Barackenwohnungen, sowie 24 Wohnungen in Paetzscher Drahtlehmbauweise als kleine, dorfartige Siedlung, und zwei Vierfamilienhäuser in der Karlstraße, gegenüber der Gasanstalt. Daneben wurden die sogenannten „übergroßen" Wohnungen zwangsweise aufgeteilt. Wie schonungslos dabei unter dem Druck der Wohnungsnot vorgegangen wurde, beweist die Tatsache, dass Anfang 1921 bereits über 300 Notwohnungen abgetrennt waren, während die etwa neunmal größere Stadt Stettin auf die gleiche Weise noch kaum 400 Wohnungen geschaffen hatte!

Tabaklager Goldfarb


Tabaklager Firma Goldfarb
Zeichnung Jürgen Willbarth

Alle diese dürftigen Notbehelfe waren natürlich dem Druck des Augenblicks entsprossen und für die Frage, wie das schwere Problem der Wohnungsnot anzupacken sei, ohne Bedeutung. Es lag auf der Hand, dass nur die Errichtung möglichst vieler Dauerwohnungen dem Übel zu Leibe gehen könne; dem wirkte aber eine geradezu katastrophale Baustoffknappheit erschwerend entgegen; im Frühjahr und Sommer 1920 waren gebrannte Steine, Zement und Kalk nur durch die staatliche Baustoff Beschaffungsstelle, und nur in so geringen Mengen zu haben, dass eine größere Bautätigkeit ausgeschlossen war, wenn es nicht gelang, Ersatzbaustoffe zu finden.

Nachdem nun auf einem größeren, teilweise bereits der Stadt gehörenden Gelände westlich der Grenadierstraße und südlich der Kunower Landstraße, das auch zur Eisenbahn Hauptwerkstätte günstig lag, guter Lehm vorgefunden war, beschlossen die städtischen Körperschaften im Frühjahr 1920, hier eine Lehmhaussiedlung zu errichten. Es war ein bedeutsamer Augenblick, als die Stadtverordneten Versammlung für 200 Wohnungen die damals noch gewaltige Summe von 6,5 Millionen bewilligte! Noch ahnte niemand, wie schnell sich selbst der einfache Arbeiter an solche Summen gewöhnen, und wie bald den höchsten Zahlen ihr geheimnisvoller Nimbus genommen werden würde. Die Stadtbauverwaltung stand nunmehr vor einer äußerst schwierigen Aufgabe. Musste sie doch die erforderlichen Lehmsteine an Ort und Stelle selbst herstellen und dafür einen eigenartigen Feldziegeleibetrieb auf dem Siedlungsgelände organisieren; war sie doch wegen der Schwierigkeit der Beschaffung von Dachdeckungsmaterial zur Herstellung von Zementdachsteinen mit Ambimaschinen im Eigenbetriebe gezwungen! Da konnte der Verfasser es als eine glückliche Fügung begrüßen, dass er zur örtlichen Bauleitung in Herrn Dipl. Ing. Brugmann (jetzt Magistrats-Oberbaurat in Nürnberg) eine technisch wie künstlerisch gleich befähigte, durchgereifte Persönlichkeit gewann, die mit unermüdlicher Arbeitsfreudigkeit und großer Tatkraft das schwierige Werk bewältigte.

Dem ersten Bauabschnitt der städtischen Siedlung haften naturgemäß eine ganze Reihe von Mängeln an, die fast alle auf die verwendeten Ersatzbaustoffe und die steigende Teuerung zurückzuführen sind. Zu den Fundamenten musste Trassbeton verwendet werden - der Trass war außerordentlich ungleich von Beschaffenheit; verschiedentlich war ein Abbinden kaum eingetreten; das aufgehende Mauerwerk musste mit Ausnahme der Schornsteine und eines Dachbalkenauflagers von drei Schichten Höhe aus Lehmsteinen hergestellt werden - der außerordentlich regenreiche Sommer 1920 weichte häufig das unverputzte Lehmmauerwerk auf und richtete erhebliche Schäden an; der Innenputz musste wegen Mangels an Kalk aus Strohlehm hergestellt werden - das Strohkaff enthielt noch zahlreiche Roggenkörner, die im Putz zu fröhlich grünendem Leben erwachten, das Bau- und Tischlerholz musste dem städtischen Forst entnommen und in zu frischem Zustande verarbeitet werden - die Dielen wiesen nach Jahresfrist starke Fugen auf, durch die Fenster pfiff der Wind und drang der Regen ein, dazu waren es noch einfache (allerdings nach außen aufschlagende) Fenster; denn das Glas war außerordentlich teuer und knapp. Auch musste auf Dachrinnen verzichtet werden, denn diese waren nicht zu bezahlen. Man musste sich mit einem starken Dachüberstand behelfen. Für den Außenanstrich standen nur Kriegsfarben zur Verfügung, die leider bald verblassten und verwaschen wurden, so dass der ursprünglich schöne Anblick der fertigen Häuser stark beeinträchtigt wurde. Trotz alle dem - die Lehmhäuser des Jahres 1920 (118 Wohnungen) sind gesund und werden gern bewohnt.

Barnimstraße

Barnimstraße

Sie erhielten eine geräumige Wohnküche mit besonderer Spüle und zwei oder drei Zimmer. Im Herbst 1920, bei vorgeschrittener Jahreszeit, konnte natürlich nicht mehr mit Lehmsteinen gearbeitet werden; denn diese verlangten, dass die Häuser vor Anbruch des Winters mit Zuverlässigkeit unter Außenputz kamen. Zum Glück waren vom Ausgang des Sommers ab gebrannte Steine wieder reichlicher zu haben, so dass auf Lehmsteine verzichtet werden konnte. Der Bauabschnitt des Jahres 1921 - 64 Wohnungen - gab die große Wohnküche wieder auf und kehrte zu dem in Pommern beliebteren Grundriss zurück: Kleine Küche, lieber ein Zimmer mehr, das dann vielfach möbliert vermietet wird!

Der Bebauungsplan, der durch Errichtung des Schulgebäudes und engere Blockteilung im westlichen Teil abgeändert ist, nimmt in erster Linie auf tunlichst günstige Lage der Wohnräume zu den Himmelsrichtungen und auf möglichste Ausnutzung des Geländes zu Gartenland Rücksicht. (Da der Landhunger mit Aufhören der Inflation nachließ, konnte man von da ab die Gärten verringern und zu einer etwas engeren Blockteilung übergehen.) Die Straßen sind verschiedenartig versetzt und haben Abschlüsse erhalten, so dass sie gute, klare Raumbilder geben. Den Hauptzugang zur Siedlung bildet der Deutsche Weg, der zum Herzen der Gesamtanlage, einer großen Doppelschule mit anschließendem Sport- und Spielplatz, führt. Während der Deutsche Weg und der Preußenweg als Verkehrsstraßen anzusehen waren und entsprechende Abmessungen erhalten mussten, wurden alle übrigen Straßen auf das unbedingt notwendige Breitenmaß eingeschränkt.

Vorgärten bzw. Grünstreifen beleben das Straßenbild und geben den Häuserfronten den erforderlichen Abstand. Vom Haupttyp des ersten Bauabschnitts, dem Einfamiliendoppelhaus, musste man alsbald wieder abgehen, weil angesichts der immer drückender werdenden Wohnungsnot das Mehrfamilienhaus mit kleineren, hauptsächlich Zweizimmerwohnungen dem vorliegenden Bedürfnis mehr entsprach. Es ist deshalb in den späteren Bauabschnitten das Vier­ bzw. Fünffamilienhaus in vier- bis fünffacher Aneinanderreihung als 20- bzw. 25-Familienhaus bevorzugt worden. Gleichzeitig mit dem ersten und zweiten Bauabschnitt der städtischen Siedlung entstand ein Unternehmen der Gemeinnützigen Kleinsiedlungs-Genossenschaft, welche an der Stettiner Chaussee auf einem von der Stadt in Erbpacht gegebenen Gelände 44 Wohnungen in der Hauptsache als Einfamilien Doppelhäuser erstellte.

Eisenbahner siedlung

Eisenbahnersiedlung
Zeichnung Jürgen Willbarth

Viel zu spät für die gerade durch die Reichsbahnverwaltung außerordentlich gesteigerte Wohnungsnot, aber immerhin schon während der Inflation des Jahres 1923 begann auch die genannte Verwaltung mit der Errichtung einer Werkssiedlung von achtbarer Größe. Nach dem einheitlichen und künstlerisch hochstehenden Entwurf des Herrn Reichsbahnrats Dr. Ing. Nitschke entstanden in dieser an der Stettiner Chaussee sich entwickelnden Siedlung im Jahre 1923 64 Wohnungen, 1924 48 Wohnungen, 1925 8 und 1926 48 Wohnungen. 1927 sind im Bau 82 Wohnungen, so dass die Reichsbahnsiedlung demnächst 250 Wohnungen umfassen wird. Die Straßenbilder zeichnen sich durch Geschlossenheit und farbenfrohe Stimmung aus.

Im Anschluss an die städtische Siedlung hat noch ein Wohnungsbauverein „Selbsthilfe" eine ersprießliche Tätigkeit entfaltet, indem er 1925 20 Wohnungen, 1926 deren 36 schuf, und gegenwärtig wieder 36 im Bau hat, so dass zu Ende des Jahres 1927 92 gute Wohnungen vorhanden sein werden. Post, Landkreis und Finanzamt schufen unter Mitwirkung der Stadt eine ganze Anzahl Beamtenwohnungen. Schließlich haben zwei kleinere Baugenossenschaften je 16 Wohnungen erstellt. Auch entwickelte sich eine nicht unbeträchtliche private Bautätigkeit, die noch bedeutend größer sein würde, wenn die Stadt mehr Hauszinssteuer-Hypotheken zur Verfügung stellen könnte.

Es sei noch nachgetragen, dass im Jahre 1922 zwei industrielle Bauten geschaffen wurden, welche im Bilde der Stadt wesentlich mitsprechen: die große Mühle von Karow und ein Tabaklagergebäude der Firma Goldfarb. Wenn beide sich dem Straßenbilde harmonisch eingliedern, so ist dies Herrn Brugmanns ausschließliches Verdienst, der in nimmermüder, zeichnerischer Beratung und langwierigen Verhandlungen namentlich bei dem Mühlenbau schließlich die notwendigen Forderungen der Bauberatung durchsetzte.

Leider schied Herr Brugmann schon im Herbst 1922 aus seinem Amt, um einem Rufe;nach Nürnberg zu folgen. An seine Stelle trat Herr Regierungs-Baumeister Neumann, der bis zu seiner im Frühjahr 1925 erfolgten Wahl als Magistratsbaurat in Chemnitz sich um die weitere bauliche Entwicklung der Stadt mit großer Rührigkeit und Hingabe verdient machte. Außer der Weiterführung der städtischen Siedlung hatte er drei Vierfamilienhäuser für die Finanzverwaltung, ein Sechsfamilienhaus für die Landkreisverwaltung und ein städtisches Vierfamilienhaus außerhalb der Siedlung zu betreuen und bei einer großen Zahl von Privatbauten bauberatend zu helfen. Seine Tätigkeit für die Stadt schloss Herr Neumann mit dem Entwurf zu einer 18-klassigen Doppelschule für die Siedlung.

Siedlungsschule

Siedlungsschule

Die baulichen Aufgaben, die der neue Leiter unseres Siedlungs- und Neubauamtes, Herr Stadtbaumeister Nax, bei Dienstantritt vorfand, waren ebenso vielgestaltiger wie dringlicher Art. Neben dem Neubau der Schule, der nach Fertigstellung des Kellermauerwerks bis zur Erdgleiche wegen finanzieller Schwierigkeiten im Herbst 1925 stillgelegt werden musste, war die Errichtung eines 14-Familienhauses an der Barnimstraße für das Elektrizitätswerk und eines Wohnhauses für den Chefarzt und Verwalter des Krankenhauses an der Bergstraße ganz beschleunigt zu veranlassen. Diese Gebäude mussten ohne durchgearbeiteten Entwurf und Kostenanschlag in Angriff genommen werden. Sie mussten als Kopfbauten an die Brandmauer drei- bis viergeschossiger Häuserreihen anschließen und im Übergang zu niedrigerer Bebauung den Block abschließen. Schon bei diesen beiden Bauaufgaben hat Herr Nax ein tüchtiges baukünstlerisches Können an den Tag gelegt. In noch erhöhtem Maße muss das für den Neubau der Siedlungsschule anerkannt werden.

Hier lagen die Verhältnisse insofern außerordentlich schwierig, als der Herr Unterrichtsminister, den die Stadt um finanzielle Hilfe angegangen hatte, durch eine zur Prüfung der Sachlage entsandte Kommission feststellen ließ, dass der Neumannsche Entwurf mit 650 000 Mk. Kosten für die 18-klassige Schule in Anbetracht der schweren Finanznot als zu aufwendig bezeichnet werden müsse, und dass eine Unterstützung nur zugesagt werden könne, wenn eine Umarbeitung erfolge, die eine Herabminderung der Kosten um wenigstens 80 000 Mk. ergebe. Nun hieß es, dieser Forderung durch einen Entwurf gerecht werden, der zugleich die schon bis zur Erdgleiche aufgeführten Grundmauern restlos benutzte. Die von Herrn Nax gefundene Lösung muss sowohl vom praktischen als auch vom baukünstlerischen Standpunkt aus als hervorragend glücklich bezeichnet werden. Die Herabminderung der Kosten erreichte er durch gruppierte Anlage, Vermeidung besonderer Treppenhäuser, Fortfall der kostspieligen Eisenbetonkonstruktionen, die der den Turnhallenraum mit Klassen überbauende Neumannsche Entwurf erforderte, und durch weitgehenden Ausbau des Dachgeschosses. Aus der 18-klassigen Schule wurde während der Bauausführung eine 22-klassige, und auch an Nebenräumen wurde ein Mehr gewonnen; trotzdem bleiben die Gesamtkosten aber unter denen des ersten Entwurfs.

Die gruppierte Anlage - in der Mitte die niedrigere Turnhalle mit Nebenräumen, an den Flügeln die Mädchen- und Knabenschule - fügt sich außerordentlich glücklich in den Charakter der Siedlung ein; alle Einzelheiten des Äußeren wie Inneren zeigen die Hand des feinfühligen und phantasievollen Architekten, der mit einfachen Mitteln erhebende Wirkungen zu erzielen versteht. Besonders beifällig ist allerseits die farbenfrohe Gestaltung der Innenräume aufgenommen worden. In feierlicher Weise wurde das Schulgebäude am 22. April 1927 seiner Bestimmung übergeben.

Staedtische Siedlung

Städtische Siedlung

Die Schaffung von Wohnungen musste natürlich daneben nach wie vor die ernste Sorge der Stadtverwaltung in Anspruch nehmen. Es wurde im Frühjahr 1927 ein Sechsfamilienhaus an der Stettiner Straße fertiggestellt, während an der Grenadierstraße ein anderes Sechsfamilienhaus seiner Vollendung entgegengeht. In der Siedlung errichtet die Stadt gegenwärtig ein 20- und ein Neunfamilienhaus. Unmittelbar vor dem Baubeginn befindet sich ein Gebäude für den Arbeitsnachweis an der Barnimstraße, welches außer Geschäftsräumen zehn Wohnungen enthalten soll. An dieses anschließend ist die Errichtung eines 14-Familienhauses bereits beschlossen. Es sei hier noch besonders darauf hingewiesen, dass die Stadt, nachdem die Reichsbahn mit Abschluss des Jahres 1925 den Eigenbau eingestellt hatte, für die Weiterführung der Reichsbahnsiedlung als Bauherrin eintrat und die 130 Wohnungen der Jahre 1926 und 1927 mit Hauszinssteuermitteln unter Zuhilfenahme von Arbeitgeberdarlehen der Bahn ihrerseits finanziert und durchführt.

Die Kleinsiedlungs-Genossenschaft hat ihre Bautätigkeit wieder aufgenommen und erstellt ein Sechsfamilienhaus am Posener Weg; der vor dem Kriege tätige Beamtenwohnungsverein errichtet an der Kalkenbergstraße ein Zehnfamilienhaus, und eine ganze Anzahl weiterer Entwicklungskeime ist bereits gelegt: so das Bauvorhaben eines Post-Siedlungsverein für ein Sechsfamilienhaus an der Falkstraße, daneben für ein Zwölffamilienhaus, das die Stadt mit Arbeitgeberdarlehen der Post für Postbedienstete errichten will. Weiter beabsichtigt der Staat die Schaffung eines Bürohauses Ecke Berg- und Karowstraße für die staatlichen Behörden; der Militärfiskus die Erstellung von sechs Wohnungen für Offiziere am Karowplatz, und die Stadtbank die Errichtung eines Bank- und Bürogebäudes in der Bahnhofstraße. Schließlich steht die Errichtung eines städtischen Siechenhauses unmittelbar bevor.

Im Ganzen wurden während der Jahre 1920 bis 1927 in Stargard geschaffen: 180 Barackenwohnungen, 356 Notwohnungen durch Aufteilung übergroßer Wohnungen und insgesamt 980 Dauerwohnungen, wobei die im Bau begriffenen Wohnungen mitgezählt sind. Man sollte meinen, dass eine solche, für eine Stadt von 33 000 Einwohnern doch recht beträchtliche Bautätigkeit eine fühlbare Entlastung der Wohnungsnot herbeigeführt haben müsste.

Wie liegen aber die Verhältnisse in Wirklichkeit? Wenn auch die Zahl des Jahres 1921 mangels statistischer Unterlagen nicht, wie die des Jahres 1927, unterteilt werden kann, so ist doch überzeugend dargetan, dass die Zahl der Wohnungslosen seit 1921 noch beträchtlich gestiegen, die Wohnungsnot also erheblich drückender geworden ist, obschon in der gleichen Zeit nicht weniger als 623 Wohnungen geschaffen und besetzt worden sind! Dieses Ergebnis ihrer verzweifelten Anstrengungen, die Wohnungsnot zu lindern, ist für die Stadtverwaltung geradezu niederschmetternd, und es bleibt nur zu hoffen, dass die staatlichen Stellen diese Notlage endlich anerkennen und durch erhöhte Zuweisungen aus dem staatlichen Wohnungsfürsorgefonds eine wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot in Stargard ermöglichen werden.

Trotz aller Not der Zeit und der außerordentlich gespannten Finanzlage der Stadt sind auch noch andere Bauaufgaben teils durchgeführt, teils zur Ausführung vorbereitet: 1924 errichtete die Stadt bei der Station Seefeld ein Kinderheim, im Frühjahr 1927 an der Freienwalder Chaussee eine neue Stadtgärtnerei; die Schaffung eines neuen Stadtverordneten-Sitzungssaales im Dachgeschoss des Rathauses ist im Gange, die Errichtung einer städtischen Badeanstalt am Madüsee in Kürze geplant. So darf man mit Genugtuung feststellen, dass die Stargarder nicht nur mit Entschlossenheit der Wohnungsnot zu Leibe gehen, sondern auch soziale und kulturelle Aufgaben klar erkennen und mit zäher Tatkraft und Hingabe zu lösen suchen, würdig ihrer Vorfahren aus der Zeit nach dem 30jährigen Kriege!

Bei dem erheblichen Wachstum der Stadt war es erforderlich, darüber zu wachen, dass vorhandene Wirtschaftsenergien und neue Wirtschaftskeime nicht durch einen Bebauungsplan gehindert würden, der auf diese nicht die genügende Rücksicht nimmt, oder dass sie sich zum schweren Schaden der Allgemeinheit planlos entwickeln. Es musste also ein Generalbebauungsplan aufgestellt werden, der in erster Linie auf Förderung der Wirtschaftlichkeit und tunlichste Vermeidung jeden Leerlaufs Bedacht zu nehmen, gleichzeitig aber auch alle notwendigen Verkehrsforderungen abzuwägen und die für die fernere Entwicklung erforderlichen Verkehrsbänder festzulegen hat, der bestimmt, welche Flächen des Stadtgebietes der Wirtschaft, also der Arbeit dienen sollen, und welche dem Wohnen und der Erholung, bzw. landwirtschaftlicher Nutzung vorzubehalten sind, und der nicht nur die öffentlichen Park- und Grünflächen, sondern auch die Dauergartengebiete bestimmt, die rechtzeitig von jeder hinderlichen baulichen Ausnutzung frei gehalten werden müssen.

Dieser wirtschaftliche Nutzungsplan muss zugleich eine sinnvolle, zwischen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen Ausgleich schaffende Gruppierung des Stadtbildes herbeiführen, die auch künstlerischen Anforderungen gerecht wird und für alle Einwohner die beste nur erreichbare Umwelt schafft. Diesem Ziel nahezukommen, den Lebensbedingungen der Bewohner: Wohnen, Arbeiten, Erholen zu dienen, wird bei der Fülle widerstreitender Interessen wie Anschauungen und der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sehr oft auf außerordentliche Schwierigkeiten stoßen; es muss und kann aber bei der Planung stets ins Auge gefasst werden, wie das auch im Mittelalter bei den allerdings erheblich einfacher liegenden Verhältnissen mit so schönem Erfolge geschah. Ein solcher wirtschaftlicher Nutzungsplan ist vom Verfasser im Entwurf aufgestellt und wird hoffentlich in absehbarer Zeit in dieser oder jener Form festgestellt werden können. Dann wird eine gesunde Grundlage für die planmäßige Entwicklung der Stadt auch in fernerer Zukunft geschaffen sein. Damit wäre eine der wichtigsten und dringlichsten Forderungen erfüllt, welche die Zukunft an die Stadtverwaltung der Gegenwart zu stellen hat.

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