Die Notgeldscheine aus Stargard

-Verkehrsausgaben-

Karl-Christian Boenke
Koblenzer Strasse 124
53177 Bonn
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Abbildungen: Sammlung des Verfassers / Originalgrößen
Der Artikel ist auch im Stargarder Jahresblatt 2007 enthalten.

Pommern ist im Laufe seiner Jahrhunderte währenden deutschen Geschichte immer wieder von verheerenden Kriegen heimgesucht worden, die Handel und Wandel zum Erliegen brachten und den bescheidenen Wohlstand vernichteten, den der Fleiß der Einwohner in ruhigen Zeiten geschaffen hatte. So geschah es auch im Ersten Weltkrieg, der das Land zwar von der Besetzung durch feindliche Truppen verschonte, es gleichwohl aber im Gefolge des Gesamtkriegsgeschehens mit in den wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Strudel riss, der schließlich das ganze Deutsche Reich heimsuchte.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges Anfang August 1914 endete schlagartig eine über vierzig Jahre währende Periode, die im Deutschen Reich unter anderem eine gesicherte währungspolitische Basis geschaffen und gesunde wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht hatte. Das äußerte sich augenfällig zunächst darin, dass die Golddeckung der Währung aufgehoben wurde und damit die Goldmünzen schlagartig aus dem Verkehr verschwanden. Im Verlauf des Krieges wurden dann vom Staat auch die aus hochwertigen Metallen bestehenden Scheidemünzen eingezogen, um sie einzuschmelzen und das Metall für die Produktion von Munition und Waffen zu verwenden. Der daraus resultierende Kleingeldmangel konnte trotz Prägung entsprechender Münzen aus minderwertigen Metallen staatlicherseits nicht behoben werden, so dass ab Ende 1916 / Anfang 1917 überall im Reich Notmünzen, insbesondere aber Notgeldscheine in den Wertstufen von einem bis zu fünfzig Pfennigen von Städten und Gemeinden, Firmen, Gutsverwaltungen usw. herausgegeben wurden. Das geschah in vielfältiger Weise auch in Pommern und so auch in unserer Heimatstadt Stargard. Diese nichtstaatlichen Münzen und Scheine - letztere werden in der Nomenklatur der Sammler als „Verkehrsausgaben" bezeichnet, weil sie tatsächlich in den Geldverkehr gelangten und dort zirkulierten - gab es bis etwa 1921/22, als die einsetzende Inflation immer höhere Nominale erforderte und damit die niedrigen Wertstufen hinfällig wurden. In diesem Beitrag wollen wir jedoch nur die Stargarder Notgeldscheine betrachten.

Unter dem 15. Januar 1917 gab die Stadt vier Serien Notgeldscheine in den Wertstufen zu 25 und 50 Pfennigen heraus. Die Scheine aller dieser Serien waren auf wasserzeichenfreiem Papier gedruckt und, dem Zweck als Kleingeldersatz entsprechend schlicht gestaltet. Sie sind bei den Werten zu 25 Pfennigen einseitig mit einem grünen und bei den Werten zu 50 Pfennigen ebenfalls einseitig mit einem braunen Unterdruck versehen. Auf den ersten Blick könnte man die Seiten mit den großen Ziffern der Wertangabe (Abb. 2 u. 4) für die Vorderseite halten und so dürfte es auch im praktischen Zahlungsverkehr gehandhabt worden sein. Stellt man sich jedoch die Frage, welche Merkmale eine Banknote, also ein von einer dazu ermächtigten Notenbank ausgegebener Geldschein, aufweisen muss, um als eine solche anerkannt zu werden, sieht die Angelegenheit schon anders aus. Zu den Merkmalen einer Banknote gehören unter anderem die Wertangabe und die Währungsbezeichnung, die Ausgabe- und/oder Einlösestelle, die Ortsangabe, das Ausgabe- und/oder Einlösedatum, die Nummerierung, Unterschriften und mehr. Wie verhält es sich damit nun bei unseren Stargarder Scheinen? Betrachten wir uns dazu etwas genauer die Scheine der ersten Serie (Abb. 1 - 4)

Notgeld Stargard

Mit Ausnahme der Wertangabe und des farbigen Unterdrucks sind die beiden Nominale identisch. Die Wertangabe („25" bzw. „50") taucht auf beiden Seiten der Scheine auf, ebenso die Währungsbezeichnung („Pfennige"). Als Ausgabestelle finden wir ebenso auf beiden Seiten den Stargarder Magistrat vermerkt. Bisher also keine eindeutige Festlegung nach Vorder- bzw. Rückseite. Die Einlösestelle - Städtische Sparkasse zu Stargard in Pommern - finden wir jedoch nur auf den Seiten mit der großen Wertziffer (Abb. 2 u. 4), desgleichen das Einlösedatum („bis zum Ablauf von 3 Monaten nach Friedensschluss"). Dafür enthalten die anderen Seiten (Abb. 1 u. 3) allein die Ortsangabe, das Ausgabedatum, zwei faksimilierte Unterschriften (links die des damaligen Oberbürgermeisters Albert Kolbe, amtierend von 1912 bis 1936, rechts vermutlich die eines weiteren Magistratsmitgliedes oder Stadtverordneten) und das Magistratswappen. Die Seiten mit den kleinen Wertziffern weisen also die Mehrzahl der vorgenannten Merkmale auf und so sind diese Seiten tatsächlich als die Vorderseiten anzusehen. Anzumerken bleibt jedoch, dass es für Notgeldscheine keine verbindlichen Vorgaben gab, welche der vorgenannten Merkmale ein Schein enthalten musste. Den Bürgern, die mit diesem Ersatzgeld leben und mit ihm bezahlen mussten, dürfte das ohnehin ziemlich gleichgültig gewesen sein.

Die zweite Notgeldscheinserie (Abb. 5 - 8) unterscheidet sich auf den ersten flüchtigen Blick nicht oder nur unwesentlich von der ersten. Das trifft jedenfalls auf die Vorderseiten zu, sie sind völlig identisch mit denen der Vorgängerserie. Bei den Rückseiten erkennen wir jedoch in den vier Ecken die eingedruckte Zahl „II", Hinweis auf die zweite Serie dieser Ausgabe. Des weiteren hat sich auf der Rückseite des 25 Pfennig-Scheins dieser Serie ein Satzfehler eingeschlichen: in der letzten Textzeile ist aus Stargard ein Ztargardgeworden.

Die dritte Serie enthält nur den 25 Pfennig-Wert, ein möglicher Hinweis auf den größeren Bedarf dieses Nominals im täglichen Gebrauch. Seine Vorderseite ist ebenfalls mit denen der beiden Vorgängerserien identisch, auf der Rückseite findet sich jedoch in den vier Ecken folgerichtig die Serienzahl „III" (Abb. 9).

Stargard Notgeld

Die vierte Serie (Abb. 10 - 13) weist die meisten Abweichungen zu ihren Vorgängern auf. Zunächst einmal fällt das kleinere Format des 25 Pfennig-Scheins (Abb. 10 - 11) ins Auge, bedingt durch die Abmessungen des Rahmens im Unterdruck auf der Rückseite, die nur 61 x 37 mm betragen. Bei allen anderen Scheinen der vier Serien betragen diese Maße 70 x 42 mm. Ansonsten unterscheiden sich die Rückseiten beider Nominale dieser Serie nicht von denen der ersten Serie, es fehlt also die Serienbezeichnung in den vier Ecken. Auf der Vorderseite des 25 Pfennig-Scheins dieser Serie ist jedoch im Unterschied zur ersten das P von „Pfennig" in der ersten Zeile nicht mehr verschnörkelt (Abb. 10), bei dem 50 Pfennig-Wert ist diese Zeile ganz in Antiqua gedruckt (Abb. 12). Außerdem ist der Kopf der „2" in der vorderseitigen Ziffer „25" offen und weist ein Punktende auf. Einen bemerkenswerten drucktechnischen „Ausreißer" gibt es noch bei dem 25 Pfennig-Schein dieser Serie: statt des üblichen grünen Unterdrucks finden wir auch einen solchen in grünblauer Farbe, von dem bisher nur ein Exemplar vorliegt. (Abb. 14).

Stargard Notgeld

Die Scheine aller vier Serien wurden in Bögen gedruckt und handgeschnitten, woraus sich die differenzierenden Abmessungen bei dieser Ausgabe ergeben. (Abb. 15). Wie viele Scheine ein Bogen jeweils enthielt, ist nicht mehr zu klären. Auch über die Auflagenhöhe dieser Ausgabe mit ihren vier Serien und die Druckerei ist nichts bekannt. Die Stargarder Magistratsakten - heute im Polnischen Staatsarchiv in Stettin - enthalten keinerlei Unterlagen zu dieser Notgeldscheinausgabe. Noch etwas fällt auf: die Stargarder Scheine enthalten im Gegensatz zu den Verkehrsausgaben der meisten anderen Ausgabestellen im Reich keine Kontrollnummern, die doch einen gewissen Schutz vor Fälschungen geboten hätten.

Papiergeld, insbesondere da es als Scheidemünzenersatz dient, unterliegt einem schnellen Verschleiss, Daraus dürfte sichauch die Ausgabe der vier Serien erklären. So dürfen wir, auch wenn wir darüber heute keine gesicherte Kenntnis haben, davon ausgehen, dass zu dem Zeitpunkt, den diese Ausgabe als Einlösetermin benennt („... drei Monate nach Friedensschluss", das wäre also der Herbst 1919 gewesen), nicht mehr allzu viele dieser Scheine zirkulierten, die anderen jedoch bereits eingetauscht oder, da verschlissen, eingezogen worden waren,

Diese Annahme wird untermauert durch die mit Datum vom 1.8.1920 erfolgte Ausgabe eines völlig neu gestalteten Scheines zu 25 Pfennigen (Abb. 16 u. 17). Bei ihm stellt sich die Frage nach Vorder- und Rückseite nicht; die grafische Gestaltung der beiden Seiten spricht für sich. Das Papier weist - im Gegensatz zu vorherigen Ausgabe - ein Wasserzeichen (Wellenlinien) auf, was Fälschungen erschwerte. Der Unterdruck der Vorder- und Rückseite schwankt zwischen helloliv- bis dunkelgrün. Das Einlösungsdatum konnte natürlich nicht mehr wie bei der vorherigen Ausgabe auf den „Friedensschluss" („Versailler Vertrag") bezogen werden, war dieser doch bereits ein Jahr vorher Deutschland von den Siegermächten diktiert worden. Stattdessen finden wir hier die Formulierung: „Der Zeitpunkt, mit dem die Gültigkeit abläuft, wird öffentlich bekannt gegeben werden". Eine solche Bekanntmachung erfolgte teils über Aushang an den städtischen Anschlagbrettern, z.B. in öffentlichen städtischen oder staatlichen Gebäuden, und an Litfasssäulen, zumeist jedoch in der heimischen Presse. Die linke der beiden faksimilierten Unterschriften ist wieder die des Oberbürgermeisters Kolbe. Auf der Rückseite ist das neue amtliche Stadtwappen von 1913 mit dem Mühlentor abgebildet.

Natürlich fanden alle diese Scheine nicht nur innerhalb des Stargarder Stadtgebietes Verwendung, sondern auch im Umland, soweit man dort in der Lage war, sie bei Aufruf auch wieder zum Eintausch gegen reguläres Geld (staatliche Banknoten bzw. Münzgeld) bei der Städtischen Sparkasse abzuliefern. Ein Gedanke sei noch auf das auf diesen Scheinen vermerkte Ausgabedatum gerichtet. Nehmen wir als Beispiel hier die erste Ausgabe vom 15.01.1917. Dieses Datum kann sich sowohl auf die Ratssitzung beziehen, in der die Stadtverordnetenversammlung (Stadtrat) dem Beschluss des Magistrats zur Ausgabe von Notgeld zustimmte, als auch auf das Druckdatum oder den Tag der Erstausgabe dieser Scheine an die Bevölkerung Zumeist jedoch gibt dieses Datum den Tag der Beschlussfassung wieder. Es muss offen bleiben, ob der Stargarder Magistrat der Ausgabe der vier ersten Serien mit einem einzigen Beschluss zustimmte oder jeweils in erneuter Beschlussfassung. Ziemlich gesichert dürfte jedenfalls die Annahme sein, dass die vier Serien der ersten Ausgabe nicht zugleich gedruckt und in Umlauf gebracht wurden, sondern eine neue Serie erst dann aufgelegt wurde, als die jeweils vorangehende infolge Verschleißes nicht mehr ausreichte, den Bargeldbedarf der Bevölkerung zu decken.

Doch nicht nur öffentliche Institutionen wie zum Beispiel Kommunen, Kreise und dergleichen, sondern auch private Stellen griffen zur Deckung des Bedarfs an staatlichen Zahlungsmitteln zur Ausgabe eigenen Notgeldes. In Stargard waren das ein Geschäfts- und ein Firmenbetrieb. Die Fleischerei Marohn brachte Notgeldscheine in den Wertstufen zu 5 (Abb. 18 u. 19), 10, 20 und 50 Pfennigen zu einem nicht festzustellenden Zeitpunkt heraus. Bei solcherart privater Ausgaben bedurfte es nicht der Angabe all der Merkmale, die ein von öffentlichen Stellen herausgegebener Schein in der Regel enthielt. Der einzige Schein dieses Geschäftes, den der Verfasser bisher registrieren konnte, ist der über 5 Pfennige, der sich in der Geldscheinsammlung der HVB-Stiftung früher: Bayrische Hypotheken- und Wechselbank) in München befindet. Die Scheine bestehen aus Kartonpapier mit vermutlich unterschiedlicher Färbung bei den einzelnen Nominalen. Da sie vornehmlich nur den Scheidemünzenmangel im Geschäftsverkehr mit diesem Unternehmen abmildern sollten, sind sie auch nur in geringer Anzahl hergestellt worden und heutzutage nicht mehr erhalten.

Ein weiteres Unternehmen, das sich zur Ausgabe eigener Notgeldscheine entschloss, war die Dampfmolkerei A. Wohst in Stargard. Sie brachte nur einen Schein heraus, der aus einer zerschnittenen Eisenbahnkarte bestand. Auch bei dieser Ausgabe dürfte die Auflagenhöhe sehr gering gewesen sein, ein Belegstück existiert jedenfalls heute nicht mehr.


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