Ein Bericht von Horst-Günter Kowalke

Horst-Günter Kowalke
Kattenberg 22, 38640 Goslar

Ich bin am 2. Februar 1930 in Stettin in der Wohnung meiner Großeltern mütterlicherseits geboren. Nach 6 Wochen habe ich meine Geburtsstätte verlassen. Mein Vater, Erwin Kowalke, geboren am 22. Dezember 1898 in Marienburg/Westpreußen holte meine Mutter Hertha Kowalke, geboren am 1. Januar 1907 in Morroschin/Westpreußen und mich nach Stargard in Pommern, wo wir vom 1. Mai 1928 bis zum 30. März 1933 in der Karowstraße 21 wohnten, nach Hause. Vom 1. April 1933 bis Oktober 1935 wohnten wir Bromberger Weg 10. Anschließend zogen wir in die Horst-Wessel-Straße 5. Ich bin am 15. April 1936 in der Jobstschule / Schröderschule eingeschult worden; mein Lehrer hieß Herr Franz. Von 1940 bis 42 besuchte ich die Oberrealschule in Stargard. Meine ältere Schwester Gertraud hat von 1937 bis 1941 die Schröderschule und von 1941 bis 1942 das Lyzeum besucht. Meine beiden jüngeren Geschwister, Rosemarie 1940 und Klaus-Werner 1942, sind in der Johanneskirche an dem heute noch stehendem Taufbecken mit der deutschen Inschrift Wer da glaubt und getauft wird, der wird ewig selig werden getauft worden.

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Meine sämtlichen Vorfahren stammen aus Westpreußen. Als Westpreußen 1919 durch den Versailler Vertrag an Polen fiel, sind meine noch in Westpreußen lebenden Vorfahren nach Pommern gegangen, um nicht Polen zu werden. Die Eltern meiner Mutter gingen nach Stettin und die Eltern meines Vaters nach Tempelburg, später auch nach Stettin. Mein Vater, der in Marienburg geboren ist, zog mit seinen Eltern 1899 nach Berent/Westpreußen, ca. 50 km südwestlich von Danzig. In Berent war mein Vater vom 1. Oktober 1912 bis 30. September 1919 auf dem Landratsamt tätig. Anschließend ging er für kurze Zeit nach Pyritz. Am 28. Mai 1928 haben meine Eltern in der Schlosskirche in Stettin geheiratet. Vom 1. Februar 1922 bis 1. November 1940 war mein Vater im Stargarder Rathaus tätig. 1939 wurde die Heimatstadt meines Vaters Berent/Westpreußen wieder deutsch und so ging mein Vater zunächst alleine am 1. November 1940 wieder zurück nach Berent/Westpreußen. Dort war er wieder auf dem Landratsamt tätig. 1942 holte mein Vater, da er inzwischen eine Wohnung bekommen hatte, seine Familie nach. Die Zeit in Berent war leider sehr kurz; von 1942 bis zum 28. Januar 1945.

Meine Mutter ist mit ihren - inzwischen - vier Kindern, Gertraud, geboren am 5. März 1931 in Stettin, Rosemarie, geboren am 1. August 1940 in Stargard, Klaus-Werner, geboren am 7. Januar 1942 in Stargard und mich, vor den heranrückenden Russen am 28. Januar 1945 mit den Eltern meiner Mutter, die am 30. Juni 1944 in Stettin ausgebombt wurden und seitdem bei meinen Eltern in Berent lebten, auf die Flucht gegangen. Da mein Vater noch im wehrfähigen Alter war, musste er in Berent bleiben. Meine Mutter kam mit uns vier Kindern zunächst bis Daber bei Naugard in Pommern. Da wir von meinem Vater während der Zeit in Daber kein Lebenszeichen bekommen haben, sagte ich zu meiner Mutter, dass ich noch mal nach Berent fahren möchte, um mich nach Papa zu erkundigen. Meine Mutter wollte mich in der unruhigen und gefährlichen Zeit - ich war 15 Jahre - nicht fahren lassen; ist auch verständlich. Doch durch mein ständiges „Bohren" ließ meine Mutter mich fahren. Und so fuhr ich am 27. Februar 1945 mit einem schwer verwundeten Soldaten, der nicht mehr kriegsverwendungsfähig war - Jahrgang 1925 und der auch aus Berent stammte - mit allen erdenklichen Fahrmöglichkeiten (zunächst noch im Personenzug, dann im Güterzug, im Bremserhäuschen eines Munitionszuges, mit Pferdewagen usw.) nach Berent/Westpreußen, wo wir am 28. Februar 1945 eintrafen.

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Mein (Horst-Günter Kowalke)
erster Schultag am 15.4.1936.
Eingeschult in der Knaben-Jobst-Schule

Ich suchte sofort meinen Vater im Landratsamt auf, der mich mit den Worten empfing: „Mein Gott, wo kommst du denn her, ich denke, Ihr seid in Sicherheit". Ich war froh, dass ich meinen Vater gesund begrüßen konnte. Und nun kommt das große Glück. Am selben Tag rief der Landrat des Kreises Berent/Westpreußen meinen Vater zu sich und sagte: „Herr Kowalke, da sie die meisten Kinder haben, beauftrage ich sie hiermit, das Behördengut des Kreises Berent/Westpreußen, das bereits in Daber liegt, in den Westen - nach Waren/Müritz - zu schaffen. Sie bekommen hierzu einen LKW mit Fahrer und Beifahrer.

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Die Nacht verbrachten mein Vater und ich noch im Landratsamt und am 1. März 1945 sind wir mit dem LKW - auch wieder mit dem schwerverwundeten Soldaten - nach Daber gefahren. Wenn ich nur einen Tag später zu meinem Vater nach Berent gefahren wäre, hätte ich meinen Vater nicht mehr angetroffen. Wer weiß, was aus mir geworden wäre? Unterwegs mussten wir noch mal wegen eines Tieffliegerangriffes den LKW verlassen, sind dann aber glücklich in  Daber gelandet und meine Mutter und wir Geschwister freuten uns, dass wir unseren Papa wieder bei uns hatten. Nach der Ankunft in Daber sind wir dann mit einem Güterzug Richtung Westen aufgebrochen.

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Da mein Vater die prekäre Lage bereits erkannte, der Russe stand bereits an der Oder, so ist mein Vater nicht in Waren Müritz geblieben, sondern gleich weitergefahren, wo wir am 6. März 1945 in Itzehoe/Holstein eintrafen. Bei einem Gastwirt wurden wir in Heiligenstedten, 4 km westlich von Itzehoe, einquartiert, wo wir auf dem Boden einen kleinen Verschlag mit 3 Feldbetten und einen kleinen Aufenthaltsraum erhielten. Am 2. Mai 1945 - kurz vor Kriegsschluss - hatten wir noch einmal großes Glück. In der Nacht wachte mein Vater plötzlich auf. Draußen war alles taghell. Die Engländer haben die Nacht zum Tag gemacht. Wir sind sofort raus aus den Strohbetten. Mein Vater nahm sofort meine jüngste Schwester Rosemarie (4 Jahre) und ich meinen Bruder KLaus-Werner (3 Jahre) auf den Arm. Runter ging es eine steile Treppe. Wir wollten in den Luftschutzbunker, der vor der Gastwirtschaft war. Wir waren noch im Hause, als zwei Bomben direkt vor dem Haus fielen. Uns ist nichts passiert. Wir hatten auch hier großes Glück. Und so haben wir dann doch am 8. Mai 1945 alles glücklich überstanden.

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Mein Vater hat in Heiligenstedten in seinem Beruf als Beamter keine Anstellung bekommen. Er hat im Pumpenwerk, in der Käsfabrik und beim Engländer gearbeitet, um seine Familie über Wasser zu halten. 1949 sind meine Eltern nach Niedersachsen umgesiedelt, da mein Vater auf dem Landratsamt in Celle wieder als Beamter eine Stelle bekommen hat. 1963 ist mein Vater in den Ruhestand versetzt worden und am 26. August ist mein Vater im Alter von 80 Jahren verstorben. Meine Mutter ist am 9. März 2004 im Alter von 97 verstorben. Ich habe noch für kurze Zeit, vom 6. bis 16. April 1945 in Itzehoe (liegt 4 km östlich von Heiligenstedten) die 4. Klasse der Oberschule besucht. Am 16. April 1945 ist unsere Klasse noch zum Volkssturm eingezogen worden. Wir 15jährigen wurden in Wehrmachtsuniform gesteckt und nach Lägerdorf, 9 km südöstlich von Itzehoe, eingezogen und in einer Schule untergebracht. Wir wurden durch ältere Soldaten an der Panzerfaust, am russischen Karabiner und an der Pistole 08 ausgebildet. Wir hatten in der Schule 600 und im freien Gelände in einem Bunker nochmals 600 Panzerfäuste zu bewachen. Zum Einsatz kam ich nicht mehr. Meine Volkssturmzeit dauerte nur ein paar Tage, denn am 25. April 1945 bekam ich die Krätze (eine Hautkrankheit). Daraufhin wurde ich einen Tag später zu meinen Eltern nach Heiligenstedten entlassen.

Zu Fuß und in Uniform kam ich bei meinen Eltern an, die sich gefreut haben, dass wir  wieder alle zusammen sind. Nach dem Krieg habe ich vom 28. Mai 1945 bis 31. März 1953 die Landwirtschaft erlernt; 2 Winterhalbjahre die Landwirtschaftschule in Celle besucht. Am 31. März 1953 habe ich auf Anraten meines Vaters die Landwirtschaft verlassen und bin am 21. April 1953 zum Bundesgrenzschutz gegangen, wo ich am 28. Februar 1990 in Goslar in den Ruhestand versetzt wurde. Am 10. Mai 1957 heiratete ich Lore Allermann aus Bad Fallingbostel, OT Dorfmark. Wir haben zwei Kinder, Frank-Rainer, geboren am 10. Mai 1962 in Goslar und Gabriele, geboren am 22. Januar 1965 in Goslar. Inzwischen haben wir vier Enkel­kinder.

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