Erhard Grünbauer
ul. W. Gombrowicza 51, PL - 73-110 Stargard
Tel.: 0048 91 5760128
E-Mail: erhard.dana@interia.pl

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Erhard Grünbauer

Die Liebe zu Stargard begann bereits an einem schönen Apriltag vor zwanzig Jahren in Nürnberg. Allerdings in einer etwas anderen Form. An diesem Tag lernte ich eine junge polnische Frau kennen, sie kam aus Stargard. Bald konnte ich auch erfahren, dass sie in Jakobshagen geboren wurde und ihr Elternhaus, auch jetzt noch, in Saatzig steht. Wir wurden ein Paar und haben uns noch im gleichen Jahr vor dem Standesamt in Fürth im Frankenland das Jawort gegeben. Die Angehörigen meiner Frau wohnten zum größten Teil alle in Stargard oder im Kreis Saatzig. Das macht natürlich öftere Besuche dort notwendig. Diese Kurzbesuche brachten es mit sich, dass ich die Stadt Stargard und auch den Kreis Saatzig immer besser kennen lernen konnte.

Recherchen im Internet haben mich dann auch auf die Spur des Heimatkreis-Stargard gebracht. Auf deren Homepage habe ich eine Stargarder Straßenkarte mit den deutschen Straßennamen gefunden, wie sie bis 1945 Gültigkeit hatten. Leider war die Schrift auf dieser Karte im Original sehr klein, dass man sie ohne Lupe nicht lesen konnte. Als Leiter eines Technischen Büros hatte ich allerdings die technischen Möglichkeiten diese Karte in ein gut leserliches Format zu bringen. Nun war ich im Besitz eines wahren Schatzes. Um diese ständigen Pendelfahrten zwischen Stargard und Fürth zu beenden haben sich meine Frau und ich dazu entschlossen, nach Beendigung meines Berufslebens, unseren Wohnsitz nach Stargard zu verlegen.

Danuta Grünberger

Ende November 2010 war es dann soweit, wir konnten das zwischenzeitlich erworbene Einfamilienhaus beziehen und nachdem wir uns eingerichtet hatten, traten wir der deutschen Minderheit Ortsgruppe Stargard bei. Dann ging alles ganz schnell, im Internet hatte sich schnell verbreitet, in Stargard wohnt ein Deutscher der in Stargard ortskundig ist und seine Frau polnisch und deutsch spricht. Die erste Anfrage, ob ich ihnen Stargard zeigen könnte, kam per E-Mail aus der Steiermark in Österreich von einem Mann, dessen Großvater im 19. Jahrhundert von Stargard in die Steiermark ausgewandert war und mit seiner Familie auf Spurensuche nach den Wurzeln war. Die nächste Anfrage kam aus der Schweiz. Eine Frau wollte ihrem Mann zum 70. Geburtstag eine Reise in seine Geburtsstadt Stargard schenken. Der Mann musste im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder 1945 aus Stargard fliehen. Es waren keinerlei Dokumente vorhanden. Er wusste nur, dass er in Stargard in der Siedlung geboren ist. Erst als eine Tante in Ingolstadt verstorben war, hat man in deren Nachlass ein Foto gefunden. Es wurde uns zugänglich gemacht und meine Frau und ich haben erfolgreich recherchiert. Heute können die beiden Männer ihren Geburtsort mit Straße und Hausnummer benennen.

Manche Suche nach alten Adressen war leider nicht immer so erfolgreich, ob der Krieg daran schuld ist, oder Sanierungsmaßnahmen durch die neuen Eigentümer, lässt sich nicht einwandfrei belegen. Es gab aber auch durchaus überraschende Momente. Durch die Sprachkenntnisse und dem Verhandlungsgeschick meiner Frau ist es öfters gelungen in die Häuser und Wohnungen der ehemals deutschen Bewohner zu gelangen, was natürlich bei unseren Besuchern große Emotionen auslöste.

Johannistor Johanniskirche
Johannistor und Johanniskirche

Unter diese familiären- und mittelgroßen Reisegruppen mischten sich auch Reisegruppen größeren Ausmaßes. Besondere Freude machten uns die Besuche der jeweiligen Heimatkreise, die mit großen Reisebussen angereist waren. Da hat sich das Hotel Speicher zu einem wahren Domizil durch seine Lage direkt am Rande der Altstadt und mit seinem großen Busparkplatz entwickelt. In diesem Jahr konnten wir überraschend viele Heimatkreise und Kreisgruppen begrüßen wie: Heimatkreis-Pyritz, Kreisgruppe-Schwerin, Heimatkreis-Saatzig, Kreisgruppe-Rehwinkel/Saatzig und den Heimatkreis-Stargard. Natürlich möchten sie alle ihre Heimat­ oder Kreisstadt, die sie doch für den Kreis Saatzig einst war, besichtigen.

Gerne stehe ich als ortskundiger Stadtführer zur Verfügung, doch beschleicht mich immer ein eigenartiges Gefühl, wenn ich Leuten, die hier geboren sind, ihre Heimatstadt erklären soll. Aber wenn sie doch heute schon meistens sehr betagte Menschen sind, so waren sie doch damals kleine Kinder, als sie Stargard verlassen mussten. Den Stadtrundgang beginnen wir am Hotel Speicher in der ehemaligen Hindenburg Straße und gehen über die Straße in Richtung Johannistor auf die Wallanlagen und auf das große Rondell. Dort erkläre ich wie im 30-jährigen Krieg unter Piccolomini die Stargarder Bevölkerung die Wallanlagen und das große Rondell in Fronarbeit aufschütten mussten. An dieser Stelle wird auch auf die Kämpfe zwischen den Kaiserlichen Truppen und den Schweden hingewiesen. Im Jahr 1635 hatten es auch die Schweden zu verantworten, dass die mittelalterliche Altstadt von Stargard fast völlig abbrannte.

Rondell
Rondell und Christuskirche im Hintergrund

Weiter geht es auf dem Nachtigallensteig in Richtung Mühlentor. Links sehen wir hinab in den Höllengrund, früher der Privatpark der Müllerfamilie Karow. Später sehen wir auch die Villa der Karow's und die große Mühle. Vom Nachtigallensteig steigen wir die 56 Stufen hinunter zum Mühlentor (eigentlich war es früher zur Hansezeit die Hafenmeisterei) in das ehemalige Hafengebiet. Dazu muss man wissen, dass bis zum großen Stadtbrand von 1635 Stargard zur Norddeutschen-Hanse gehörte. Das Mühlentor ist in Europa eine Seltenheit, es gibt so etwas ähnliches nur noch einmal in Holland. Darum ist es auch das Wahrzeichen von Stargard seit jeher. Wer sich das Mühlentor einmal genauer ansieht, der bemerkt, dass von den Türmen jeweils ein Stück einer Kette herunterhängt. Diese Ketten erinnern an den Handelskrieg mit Stettin von 1454 bis 1460. Aus Anlass zur Beilegung dieses Konflikts wurde 1461 in Kuhblank, auf halben Weg zwischen Stettin und Stargard, von den Bürgermeistern eine Friedenslinde gepflanzt, die heute noch zu den ältesten und größten Bäumen gehört.

Karowsche Villa und Mühle
Karowsche Villa und Mühle

Beim Weißkopf, einem Wehrturm in der Stadtmauer, stehen wir in der Keimzelle von Stargard. Hier, wo einst der Hauptarm der Ihna einen scharfen Bogen in Richtung Westen machte, um sich dann beim damals noch nicht vorhandenen Mühlentor wieder mit dem Stadtarm zu vereinigen, befand sich um das Jahr 900 n.Chr. eine Befestigungsanlage. Später nannte man diese Befestigungsanlage Stare grut (Alte Burg), der Name Stargard, wie wir ihn heute kennen, war geboren. Das Walltor gleich in der Nähe war im Mittelalter der einzige Zu- und Ausgang nach Osten. Zuvor aber kommen wir noch an einem ziemlich vernachlässigtem Fabrikgebäude mit seinem Bürogebäude vorbei. Es ist die sehr weit bekannte Likörfabrik Mampe, die einst für ihre gesunden Erzeugnisse bekannt war.

Mühlentor mit Speicher

Durch das Walltor gehen wir über die Ihnabrücke auf den Weidensteig. Das muss nach meiner Vorstellung in der Kaiserzeit und auch  noch weiter in Friedenszeiten, die Eheanbahnungsmeile gewesen sein. Vom Weidensteig biegen wir rechts ab und gehen über die Brücke an der Arche, wie die Stargarder sie nannten. Gemeint ist das Wehr im Ihna-Hauptarm. Diese Einrichtung diente zur Steuerung der Wassermenge im Stadtarm und damit dem Zufluss zur großen Mühle. Der Spaziergang geht über Land Usedom weiter zum Zeughaus, wo auch der Stadtarm vom Hauptarm abzweigt. Somit verlassen wir die Ihnainsel der ehemaligen slawischen Unterstadt und begeben uns auf den Boden der deutschen Siedlerstadt. Natürlich hatten sich die slawischen Ureinwohner bald mit den neuen Siedlern vermischt.

Walltor

MarienkircheHeilig Geistkirche
Marienkirche                                                    Heilig Geist Kirche

Das Neue Tor und die Südmauerstraße mit ihren Basteien und dem Gefangenenturm müssen wir links liegen lassen, denn unser nächstes Ziel ist die Marienkirche. Wer einmal in Stargard gewesen ist, der muss in der Marienkirche gewesen sein. Die imposanten Ausmaße der Kirche, sie ist nach der Marienkirche in Danzig und Lübeck die drittgrößte im ehemaligen Norddeutschland, im Stil der Backsteingotik. Beeindruckend ist vor allem die Höhe des Mittelschiffes mit seinen 33,30 Metern. Erstaunlich auch die noch vorhandenen Fenster auf der Südseite deutscher Zeit. Wobei mich immer ein Fenster besonders überrascht. Es zeigt die Vermählung Martin Luthers mit Katharina von Bora. Ein deutsches evangelisches Motiv in einer polnischen katholischen Kirche. Zwischen Nordseite der Marienkirche und der Südseite des Rathauses liegt der ehemalige Fleisch- und Fischmarkt. Von hier aus blicken wir auf das älteste Haus von Stargard. Natürlich von den Polen rekonstruiert, denn im Februar 1945 wurde die Stargarder Altstadt durch einen Fliegerangriff zu 98% zerstört. Auch das historische Rathaus wurde von den Polen wieder in sein (fast) ursprüngliches Aussehen versetzt.

Pyritzer TorRotes Meer
Pyritzer Tor                                              Der Rote Meer Turm

Wir gehen die Pyritzer Straße hinauf zum Pyritzer Tor, einem der schönsten mittelalterlichen Tore und sehen von hier aus auf die frisch renovierte Heilig Geist Kirche. Fast hätte sich unser Kreis geschlossen, doch den höchsten Turm in den Wehranlagen dem Rote Meer Turm wollen wir nicht außer Acht lassen. Bevor wir unseren Ausgangspunkt, das Hotel Speicher erreichen, kommen wir noch am 1897 erbauten Stargarder Wasserturm, der damals für 28.000 Einwohner geplant wurde, vorbei. Heute hat Stargard knapp 70.000 Einwohner. Kein Wunder, dass der Wasserturm für Stargard nur noch von historischer Bedeutung ist.

Altes-HausWasserturm
Ältestes Haus                                                  Wasserturm

Stargard, die Stadt der Tore und Türme ist immer eine Reise wert.

Stargard im Oktober 2017

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