Erster Kriegsschaden in Stargard

Heiner Neumann Harksheider Weg 151 25451 Quickborn Tel. 04106 2328

Ort des Geschehens: Heiner Neumann Stargard Freienwalder Chaussee Nr. 1 und Mampe Likörfabrik

Datum: 7. Oktober 1944, mittags - zwei Tage vor meinem 9. Geburtstag. Es war Fliegeralarm gegeben worden, Vollalarm. Das regte niemanden weiter auf, weil es sehr oft passierte, ohne dass etwas Ernstliches geschah. Es waren immer vorbeifliegende Bomberverbände, die zu anderen Zielen in Deutschland unterwegs waren. Irgendwas Kriegswichtiges gab's in Stargard nicht, wie alle meinten.

Wir, meine Mutter und die Hausangetellten waren also nicht in den Keller gegangen, wie vorgeschrieben, und guckten in den strahlend blauen Herbsthimmel ohne eine Wolke.

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Dann kamen sie. - In großer Höhe immer dicht aufgeschlossen in Pulks von etwa 12 Maschinen, nur als kleine Silberpunkte erkennbar. Jemand sagte: „...und keine deutschen Jäger....". Die Armada dort oben zog unbehelligt ihre Bahn. Die Luft war von einem dumpfen Dröhnen erfüllt, so als wenn man mit dem Kopf in einer großen Kirchenglocke stecke. Einige der Umstehenden fingen mit dem Zählen an. Das taten sie immer. Weit sind sie wohl nicht gekommen, denn wir sahen wie die Zielmarkierer herunterrauschten in ziemlich ungemütlicher Nähe. Die Engländer markierten nachts mit farbigen Leuchtmitteln, den sog. Christbäumen, wie wir es bei Angriffen auf Stettin sehen konnten, während die Amis am Tage Bomben abwarfen, die eine intensive weiße Rauchsäule senkrecht in den Himmel stellten, "Leichenfinger" wurden sie genannt. Die ersten Sprengbomben krachten, der Boden bebte und die Fensterscheiben klirrten.

„Die bombardieren Klützow" wurde ziemlich schnell klar, 10 km von uns entfernt.  Hier lag eine große Luftwaffenbasis. Es zog jetzt alle in den Keller. In diesem Moment sahen wir, wie sich einer dieser Silberpunkte nach unten bewegte. Als er näher rankam, sahen wir ein Flugzeug, dem ein ganzer Flügel fehlte. Es drehte sich heftig um die Längsachse. Als es noch näher kam, glaubten alle, der fällt uns genau auf den Kopf. Wir beeilten uns jetzt auch in den Keller zu kommen. Nachdem Entwarnung gegeben war, ging das Telefon, - mein Vater war nicht zu hause, - und meiner Mutter wurde gemeldet, dass ein Flugzeug in das Bürogebäude der Mampefabrik gestürzt sei, etwa 1 km von uns entfernt. Sie wollte natürlich gleich hin, aber man bedeutete ihr, dass das im Moment nicht ginge. Erst am späten Nachmittag durfte sie hin und nahm mich mit.

Das Flugzeug war senkrecht in das Bürogebäude in der Mampestraße gestürzt, hatte das Dach und drei Geschossdecken durchschlagen und war mit dem Motor auf der Kellersohle zum Stillstand gekommen. Der noch verbliebene Flügel war an der Hauswand abgeschert, hatte dort ein grosses Loch in die Mauer geschlagen und lag im Fabrikhof. Sonst war erst mal nicht viel zu sehen.

Kriegsschäden2

Man erklärte uns, dass es ein amerikanischer Jäger vom Typ P51-Mustang sei, der da mitten im Haus steckte. Dieses hatte eine aussenliegende Nottreppe. Wir gingen dort hinauf und konnten von hier aus in Höhe des zweiten Stockes auf das Chaos im Gebäude sehen. Die Feuerwehr war dabei, in Handarbeit den Flieger zu zerlegen, ­ Alles mit Muskelkraft, - Hydraulikscheren, wie heute in solchen Fällen üblich, gab es noch nicht. Überall lagen Trümmer herum und alles war mit Flugbenzin vollgesogen wie ein Schwamm. Es roch ganz anders als unseres. Ich habe den Geruch noch heute in der Nase. Der kleinste Funke bei den Bergungsarbeiten hätte zur KatastrophE geführt. Dass beim Crash selbst kein Feuer ausgebrochen ist, erscheint mir noch heute als ein Wunder!

Kriegsschäden3 P51 Mustang

Von unserer Beobachtungsposition konnte ich direkt ins Cockpit sehen. Die Schiebehaube war offen und alles war an seinem Platz und unbeschädigt. Es wurde später erzählt, der Pilot hätte noch dringesessen. Lediglich die Haxen hätte er sich verstaucht und der Bäckermeister Bürger hätte gesehen, wie die Bewacher, die ihn abführten, ihn mit ihren Gewehrkolben geknufft hätten, damit er schneller lief. Theoretisch hätte der Pilot durch den langen Bremsweg wohl den Sturz in das Haus überleben können. Es gab jedoch viele Augenzeugen, die in der Nähe des Bahnhofes einen Fallschirm niedergehen sahen, so dass die erste Version wohl eine Legende ist, denn in dem Jäger saß nur ein Mann! Auf dem Dachboden des Hauses hatte mein Onkel - jungverheirateter Arzt in Berlin - seine frisch beschafften Möbel eingelagert, da er meinte, hier wären sie vor Bomben sicher. Durch Sofas und Sessel ist dann der Mustang ganz ungeniert durchgerauscht. Die Feuerwehrmänner schenkten mir dann etliche bizarr verbogene Blechstücke, die ich stolz mit nach Hause nahm. Dort kletterte ich auf den Nussbaum auf unserer Terrasse und schmiss die Teile herunter, so dass sie auf den Steinplatten schepperten. - "Mustangabsturz"

Am nächsten Tag kam mein Bruder, Hans-Gerd, auf Urlaub. Mit seinen gerade 17 Jahren war er Flakhelfer in Stettin. Wir gingen noch mal zusammen zur Fabrik, dort machte er sich an dem auf dem Hof liegenden Flügel zu schaffen und zog einen Gurt MG-Munition daraus hervor. Die Herumstehenden staunten nicht schlecht, einmal, weil er fachmännisch gleich an die richtige Stelle gegriffen hatte und zum Anderen über die goldglänzenden Messing-Patronenhülsen, die es bei den Deutschen schon lange nicht mehr gab. Für mich war mein grosser Bruder mal wieder der grosse Zampano! Er durfte sich einen halben Meter von dem Gurt abkneifen und mit nach Hause nehmen. Dort hat er ihn in seinem Zimmer an die Wand gepinnt.

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