Rund um den Stargarder Marktplatz

Erinnerungen zum Elmshorner Treffen 1961 — von Erich Backhaus, Bremen­Grohn.

Einsenderin: Heidrun Plugowsky, geb. Backhaus
Kastanienstr. 9, 27809 Lemwerder
Stargarder Jahresblatt 2017

„Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, die lang' ich vergessen geglaubt!"

schrieb einst Adalbert von Chamisso, der Vorfahre unseres Stargarder Sanitätsrates Dr. von Chamisso. Meine lieben Heimatfreunde, in Gedanken gehen wir so oft durch die vertrauten Straßen unserer Vaterstadt, über das weite Viereck unseres Marktplatzes und schauen ehrfurchtsvoll auf die hohen Bauten, die ihn umschließen. Dann begegnet uns wohl manche Gestalt, ohne die wir uns das liebe alte Stargard gar nicht vorstellen können. Es sind Männer und Frauen in pommerscher Urwüchsigkeit, mit den Stargarder Verhältnissen aus Veranlagung und Leben verbunden.

Marktplatz in Stargard

Siehst du sie durch das Portal des Rathauses schreiten? Jahrzehntelang stand Albert Kolbe selbstbewusst und sich um alles kümmernd an der Spitze der städtischen Körperschaften und neben ihm als Bürgermeister unser bienenfleißiger Dr. Stahlmann. Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung war zuletzt Rechtsanwalt Georg Behrend. Überall bekannt waren die langjährigen Abteilungsleiter: Stadtamtmann Stepputat für die algemeine Verwaltung, Steueramtmann Radtke und Sparkassendirektoren Ulbrich und Sabin mit ihren Inspektoren Paul Papke und Otto Dohnke usw. Als letzter Oberbürgermeister amtierte Dr. Völker.

Jede Geburt und Eheschließung, sowie jeder Sterbefall wurde in den Stargarder Personenstandsbüchern durch die Standesbeamten Franz Theel und Ernst Wolff überaus gewissenhaft beurkundet. Auf unser Stargarder Schulwesen waren nicht nur unsere Stadtväter stolz. Nach Superintendent Brück war „Papa" Droysen unser populärster Schulrat, später die Herren Lempfert und Ernst Schröder. Für unsere Mittelschulen waren die Rektoren Alwin Hänzel, Wilhelm Diewerge und Ernst Weidemann verantwortlich. Neben ihnen unterrichteten die Mittelschullehrer Knaack, Schmedel, Witte, Stabenow, Bastian, Lenke und Kasten sowie die Damen Frl. von Vormann, Schaaphaus, Jaenke, G. Wolff, E. Wendland usw. Die Rosenberg-Knabenschule leitete der frühere Seminarlehrer Rudolf Marquardt, die Ihna-Mädchenschule die Rektoren Hermann Säker und Dr. Sassenhagen, die Knaben-Jobstschule nach W. Diewerge jahrelang Rektor Emil Sudheimer und die Mädchen-Jobstschule Rektor Fritz Ullrich. Den Aufbau der neuen Siedlungsschule hatte Rektor Carl Schröder übernommen. Mit ihnen zusammen wirkten lange Jahre Hermann Pfeil, Hermann Röhl, Carl Wolff, Paul Gaedtke, Otto Freytag, die Brüder Paul und Erich Kark, Hermann Dahlke, Hans Radünz, Arthur Bröker, Gustav Wendorff, Carl Retzow, Fritz Herpel, Frl. Block, Frl. Backe und Frl. Worm, ferner Fritz Treu, August Schmidt, Hermann Bohn, Fritz Brehmer, Otto Liermann, Julius Groß, Paul Franz, Erich Polchow, Paul Harnitz, Georg Häbel u. a.

Zum Kollegium der Königin-Luise-Schule (Oberlyzeum) gehörten nach Direktor M. Bolling sein Nachfolger Dr. Wilhelm Langenbeck, die Studienräte Dr. Paul Bornefeld, Otto König, Dr. Martin Giese, Karl Krockow, Fritz Biederstaedt und die Damen Frl. Prechel, Frl. Gabbert, Frl. Sonnabend, Frl. Reinert, Frl. W. Liermann u. a. An der Oberrealschule unterrichteten nach Direktor Dr. Kliewer, Dr. Roever, Adolf Erdmann, Beske und Böttcher, am staatlichen Peter-Gröning-Gymnasium nach Geheimrat Bähnisch die Direktoren Dr. Martin Wehrmann und Dr. Friedrich-Wilhelm Schmidt, Dr. Lüdtke, Vauk, Pinnow, Peitsmeyer, Dr. Karl Wengatz, Dr. Isler, Dr. Siuts, Dr. Roloff, Stadtrat Strutz sowie die Fachlehrer Bethke, Schwarzer und Tack. Die Schulleiter Franz Suckow und Richard Lemke betreuten neben Otto Fischer, Hugo Manthey, Hans Dreyer und Eva Groß die Hilfsschule und Direktor Hellmich die Berufsschule.

In der herrlichen St. Marienkirche predigten nach Superintendent Brück sein Nachfolger Superintendent Hans Radtke und die Pastoren Kiesow und Sendke, in St. Johann und in der Erlöserkirche nach Pastor Ulrich Redlin und Pastor Treptow die Geistlichen Kurt Strutz, Lemke, Günter Besch und Buggert, in der Heilig-Geist­Kirche die Pastoren Polzenhagen, Schumacher und Sprondel sowie in der Christus-Kirche deren Pfarrer Schaaphaus und Buchwald.

Auf eine vorbildliche Höhe war durch die Kreisärzte Dr. Arbeit und Dr. Holtz sowie Dr. Runte das Stargarder Gesundheitswesen ausgebaut worden. Als Chefärzte standen an der Spitze des Krankenhauses Dr. Carl Weber und zuletzt Privatdozent Dr. Neumann. Kennt ihr noch unsere Stargarder Ärzte? In der Stadt praktizierten Sanitätsrat Dr. Becker und Sohn, Sanitätsrat Dr. Laffert und sein Sohn Dr. Karl Laffert, Sanitätsrat Dr. von Chamisso, Dr. Thurow und Sohn, Dr. Gustav Kohrt und sein Schwiegersohn Dr. Paul Rohe, Dr. Faltin, Dr. Erich Falkenberg, Dr. Bootz, Dr. Centurier, Dr. Lehmann, Dr. Koch, Dr. Schlesener und Dr. Geletneky, außerdem als Fachärzte Dr. Illig und Dr. Hannemann, Dr. Schlüter, Dr. Billich und Dr. Büssem, ferner die Zahnärzte Dr. Günter Köhler, Zander, Dr. Breitkreuz, Dr. Curt Mascow.

Die Pflege der Musik war in ganz Pommern als vorbildlich bekannt. Den Musikverein und die Constantia leitete Fritz Biederstaedt, den Männergesangsverein und seinen starken Frauenchor Paul Gaedtke, den Schollschen Liederkranz Ernst Schulz, die Concordia Hermann Barthel und den Reichsbahn-Gesangsverein Karl Henke. So manches schöne Lied erklang zum Feierabend zwischen den ehrwürdeigen Bauten, die den Marktplatz umschlossen. Stargard war auch Mittelpunkt des im Pommerschen Sängerbund führenden Sängerkreises Stargard-Saatzig-Pyritz. Vorsitzender war von 1920 bis 1945 Erich Backhaus.

Unsere Turner der Vereine 1860 und Jahn, sowie die Sportler von SSC Viktoria und Keith/Gneisenau hatten im Laufe der Jahre auf dem weiten Marktplatz ungezählte Veranstaltungen durchgeführt. Wie oft übten die einsatzbereiten Männer unserer Freiwilligen Feuerwehr an den hohen Gebäuden rings um den Mittelpunkt unserer Stadt! Es ist vorbei! Mutter Germania hat sich weinend abgewandt!

Postinspektor Richard Falck, einer unserer Stadtchronisten, pflegte die Besucher unseres Marktplatzes wie der städtischen Anlagen in bestimmte Kategorien einzuteilen:

  1. Die alten Ruheständler kamen rudelweise und diskutierten als Thema die Politik und andere Ärgernisse.
  2. Frauen verschiedenen Alters versäumten keine Eheschließung im Rathaus und keine Trauung in St. Marien, um an den Schicksalen fremder Familien ihr persönliches Vergnügen zu finden.
  3. Berufstätige Männer beherrschten den Platz, wenn auf dem Fleisch- oder Gemüsemarkt sowie vor den Jahrmärkten im Juni und November Buden und Verkaufstische aufgestellt werden mussten. Zu ihnen gesellten sich die in der Kommunalpolitik ehrenamtlich tätigen Männer und Frauen, wenn sie nach langausgedehnten Sitzungen aus dem Rathaus oder aus dem Norddeutschen Hof oder dem Hotel „Prinz von Preußen" den heimischen Penaten zustrebten. Mancher von ihnen war bei schon hellem Tageslicht wenig ansprechbar.
  4. Wer von uns gedenkt nicht der Gruppe unserer goldenen Jugend, die im Karree Holzmarktstraße / Radestraße nachmittags und abends bummelte? Die neuen Schülermützen leuchteten, und die Zöpfe unserer Mädel trugen große Schleifen, auf die wir gern Jagd machten. Manches Geheimnis war mit diesem harmlosen Vergnügen verbunden.

Höhepunkt war auf dem Marktplatz wie am „Roten Meer" die sonntägliche Platzmusik der Regimentskapelle. Die „Neuner" dirigierte bis 1914 Musikdirektor Kohlmann und danach der schneidige Musikmeister Friedrich Ahlers. An der Spitze der „Vierer" erlebten wir den stets lächelnden Obermusikmeister Liepe und später den lebhaften Musikmeister Grote, dem mit den „Fünfundzwanzigern" Stabsmusikmeister Wilfried Schlaegel folgte.

Schon einmal hatte unser Marktplatz vor 1945 das Feuer eines gewaltigen Brandes erleben müssen. Das war im Jahre 1635 inmitten des Dreißigjährigen Krieges, als die um die Mitte des 13. Jahrhunderts begonnene Marienkirche mit ihrem 32 m hohen Mittelschiff und das im 14. Jahrhundert erbaute Rathaus den Flammen zum Opfer fielen. Am Fleischmarkt blieben nur die Häuser Große Mühlenstraße 8 mit dem schönen Backsteingiebel und Königstraße 1 (Organistenhaus vor der Marienkirche) sowie auf dem Marktplatz das große Eckhaus Radestraße Nr. 19 und die Ratsapotheke (Ecke Pyritzer und Poststraße) als Zeugen mittelalterlicher Baukunst erhalten. Durch die Ruine des Rathauses aber geisterte in späteren Jahrhunderten noch der Geist des Bürgermeisters Joachim Appelmann, der 1576 seinen missratenen Sohn als Räuberhauptmann hatte enthaupten lassen.

Mit dem letzten Weltkriege endete das deutsche Leben auf dem Stargarder Marktplatz. Unserer verstorbener Heimatkreisbearbeiter Ernst Keller aber schrieb bereits im August 1956:

„Wir tragen die Heimat im Herzen - unser Zukunftsglaube versetzt nicht nur Berge, sondern auch widernatürlich gezogene Grenzen."

So grüßen wir Stargarder unsere liebe Vaterstadt, wenn wir uns am 26. und 27.8.1961 in Elmshorn wiedersehen.

Nachbemerkung: Dr. Thurow praktizierte nach 1945 in Bad Doberan. Er hat mir gewissermaßen das Leben gerettet. Er bewahrte mich davor, mit meinem ansteckenden Typhus ins Krankenhaus gehen zu müssen. So konnten mich meine Mutter und mein Großvater Tag und Nacht zu Hause pflegen, bevor ich wieder gesund wurde.

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