Fluchtbericht Edeltraud Jaenichen

7.1.2013

Edeltraud Jaenichen

Bild etwa 1942


Edeltraud Jaenichen
Kerpener Str. 95
50937 Köln

Heute will ich endlich aufschreiben, was noch zu meinen Erinnerungen aus Stargard gehört. Von 1941 bis 1945 war ich bei der Reichsbahn. Zuerst in der Fahrkartenausgabe, wozu auch die Auskunft gehörte. Die Auskunft war ein kleiner Raum am Ende des Bahnsteigs kurz vor der Poststelle. Jeder aus der Fahrkartenausgabe hatte auch jede Woche die Pflicht einen Tag in der Auskunft zu verbringen. Dazu hatten fast alle nie gern Lust. Doch mir machte es Freude in den Kursbüchern zu blättern und Reiserouten heraus zu suchen. So kam es, dass ich meinen Dienst dann nur noch in der Auskunft verbrachte. Aus meinem Büro konnte ich sowohl zum Bahnsteig als auch zur Straße hinaus gehen. Das sprach sich im Bekanntenkreis und später auch weiter herum, so dass ich oft Soldaten durch die Glastür ließ. Wenn es heraus gekommen wäre, hätte es mir bestimmt große Schwierigkeiten gebracht. Die Soldaten brauchten dann nicht bei den Kettenhunden an der Sperre vorbei. Es waren ja oft Soldaten dabei, die aus Stargard waren oder Bekannte dort hatten. Sie durften ja nie vom Bahnsteig runter. Wie groß war oft die Freude, wenn sie mal schnell zuhause vorbei schauen konnten. Das also tat ich solange ich dort gearbeitet hatte, also bis zur Flucht. Bestimmt können sich viele, wenn sie noch leben, daran erinnern.

Später habe ich auch die Flüchtlingszüge gesehen. Ein Erlebnis werde ich nie vergessen. Auf einer Lore, das sind die offenen Waggons, saß eine Mutter mit ihrem Kind im Arm, da der Zug aus Ostpreußen kam, es sehr eisig kalt war, waren beide bestimmt längst erfroren. Mir kommen noch heute die Tränen, wenn ich daran denke. Wie unendlich viel Leid hat es gegeben.

Bahnhof Stargard

Bahnhof vor 1945 - Zeichnung Jürgen Willbarth

Als die Russen immer näher kamen, die Bombeneinschläge auch, brachte mich mein Vater zum Bahnhof, damit wenigstens ich noch wegkam. Er meinte, dass er das meinem Mann schuldig sei. Der Bahnhof war voller Menschen, aber zu meinem Glück hatte ein Kollege von mir Dienst und brachte mich über die Gleise zu einem abgestellten Zug, in dem nur Offiziere saßen. Die ließen mich aber nicht einsteigen, doch ich konnte zum Glück im Pferdewagen mit 4 Pferden und drei Arbeitsdienstler unter kommen. Es war eng, aber ich dachte 2 Stunden bis Berlin, das kann man aushalten. Doch es war ein Irrtum. Zwei Tage und drei Nächte dauerte die Fahrt nach Berlin. In Berlin angekommen, war ich erstaunt, denn dort verlief alles normal, und von Flüchtlingen wusste man nichts, so konnte ich in einem normalen Zug nach Leipzig fahren, wo ich zu meiner Schwiegermutter wollte. Als ich dort ankam, ich stank nach Urin und Pferd, war es alles sehr unangenehm. Niemand wurde ja informiert, wie es im Osten und Berlin zu ging.

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