Moltke

Ernst W. Rohde
(Aus: Pommern-Brief,
5. Oktober 1953)

Helmuth Karl Bernhard Graf von Moltke (26. Oktober 1800 - 24. April 1891) war ein preußischer Generalfeldmarschall und hatte als Chef des Generalstabes wesentlichen Anteil an den preußisch-deutschen Siegen im Deutsch-Dänischen Krieg, im Preußisch-Österreichischen Krieg und im Deutsch-Französischen Krieg.

Moltke inspiziert die "Neuner" in Stargard

In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts besuchte der greise Generalfeldmarschall Graf Moltke, der Sieger in den Kriegen von 1866 und 1870/71, unsere Vaterstadt Stargard des Öfteren, um das 9. Grenadier-Regiment, dessen Chef er geworden war, zu inspizieren. Die „Kolberger Grenadiere", die sich schon unter Führung von Gneisenau bei der Verteidigung von Kolberg hervorgetan hatten und am Helm das Emblem „Kolberg 1807" trugen, hatten sich besonders in Frankreich bei Gravelotte und Sedan ausgezeichnet. Darum wurde der Graf nach Friedensschluss auf seinen Wunsch Chef des Regiments. Jedesmal erhielten wir Jungen schulfrei und konnten den berühmten Mann auf dem Bahnhof empfangen.

Ein wenig enttäuscht waren wir Schüler zwar, war doch der Empfang so ausgesprochen nüchtern gegenüber demjenigen des Alt-Reichskanzlers von Bismarck, der, nach Varzin fahrend, stets vom gesamten Offizierskorps während des Maschinenwechsels auf dem Bahnhof begrüßt wurde. Wie anders bei Moltke! Der Oberst und zwei Adjutanten waren zur Stelle - der eine, ein Neffe des Grafen, begleitete den alten Herrn zum Wagen, der Leibdiener, ein Sohn des Dorfes Zartzig mit dem Eisernen Kreuz, das er sich bei Gravelotte geholt hatte, hüllte ihn in warme Decken. Und der Wagen fuhr im scharfen Trab mit Onkel und Neffen zum Hotel Prinz von Preußen, wo die Doppelposten präsentierten, was uns Jungen so gut gefiel.

Mittags 12 Uhr war auf dem Markt an der alten Germania Parole-Ausgabe. Da liefen wohlbeleibte Feldwebel mit ihren vorn im Waffenrock eingeklemmten Notizbüchern eilfertig umher; Offiziere, Adjutanten und Ordonnanzen erwarteten den Feldmarschall, der pünktlich mit dem Neffen, seinem Adjutanten, über den Markt schritt. Die Parole lautete wie immer: „Gravelotte!" Aber auch die alten Kämpfer aus den Kriegen waren, mit Orden und Ehrenzeichen geschmückt, erschienen ebenso Bauern aus den Dörfern der Umgebung und Bürger der Stadt Stargard, - sie alle begrüßte der alte Feldmarschall mit Handschlag. Sie hatten einst bei den „Neunern" gestanden, wie jetzt ihre Söhne, und waren ihm wohlbekannt.

Grenadierkaserne Stargard

Grenadierkaserne

In der Frühe des nächsten Morgens marschierte das Regiment durch das alte Walltor am „steinernen Kreuz" vorbei in Richtung Buchholz. Einige von uns Jungen marschierten immer mit. Es war auch herrlich, im Morgenglanze eines Frühlingstages singend hinaus ins Grüne zu wandern. Linker Hand entfaltete sich die liebe alte Vaterstadt mit ihren rotglühenden Backstein-Türmen, die trutzig und wehrgewaltig uns so anheimelnd erschienen, als könnten sie uns noch ein Schutz sein. Hoch hob sich die Johanneskirche hervor, und je weiter wir die Chaussee heraufzogen, umso mehr kam unsere alte Marienkirche aus dem Grün der hohen Kastanienbäume, des Weidensteiges in Sicht, ein überwältigender Anblick für den, der mit dem Heimatgefühl im Herzen diese mittelalterliche Stadt als ein Teil seiner selbst in sich empfand.

Bald aber begann das Kriegsspiel, denn kurz vor Buchholz fielen schon einzelne Schüsse der Vorposten. Die Kompanien schwärmten aus und auch wir mussten in Deckung gehen. Da lagen wir nun dicht hinter unseren Grenadieren. Bald gab es Feuer von drüben, bald aus unseren Reihen. Die Saatkrähen des Buchholzer Tangers waren in höchster Aufregung, denn ihnen war das Knallen von Gewehren nicht ganz unbekannt. Wir stürmten auch mit Hurra auf die feindlichen Linien zu, da erscholl uns viel zu früh, das „Tatü" der Hörner, und „das Ganze - halt!", so standen wir nun und lugten zwischen den Birken hindurch, wo wohl der Feldmarschall wäre. Von allen Seiten preschten die berittenen Offiziere zum Feldherrnhügel, wo Moltke dann die Kritik abhielt.

Den Rückmarsch belebten die alten Soldatenlieder, und am „steinernen Kreuz" erwartete uns schon Kapellmeister Kohlmann mit den Seinen. Eine kurze Rast, und mit Trommel und Flöten, die zwei starke Paukenschläge unterbrachen, ging es mit klingendem Spiel, voran der Schellenträger, durch die Stadt zum Kasernenhof. Hier beschloss eine Parade den Ausmarsch.

Eine Episode muss ich noch erzählen. Wir Jungen durften unter Führung einer Ordonnanz dicht hinter dem Feldmarschall und seiner Suite der Parade beiwohnen. Da ereignete sich bei einer Kompanie Folgendes: Ein junger Offizier führte den ersten Zug, seinen Degen vor dem Feldmarschall senkend, doch, ach - ein wenig zu tief, also nicht seitwärts genug, und stocherte nun zweimal in den Sand hinein. Das war bitter, denn der Hauptmann lief feuerrot an, der Oberst erbleichte, - doch Moltke tat, als habe er nichts gesehen, sagte dann aber so nebenbei: „Herr Hauptmann, stellen Sie mir doch heute Nachmittag im Kasino den Sekondeleutnant vor!" - Später erfuhr ich, dass er den jungen Menschen wie ein Vater getröstet haben soll mit den Worten: „Mir ist das auch einmal passiert!" - Das war unser Moltke.

zurück zum Inhaltsverzeichnis