Stargarder Schüler als Luftwaffenhelfer
aus der Sicht eines Ausbilders

Hermann Mikus
Saarlandstr. 2
44866 Bochum-Wattenscheid

Bericht vom 24.2.2006

In dem Rundschreiben Folge 20 der „Vereinigung ehemaliger Oberrealschüler zu Stargard in Pommern“ vom Dezember 2005 berichten die Freunde Carl Albert Boetzel und Hans Jürgen Voeltz über den Einsatz ihrer Klasse, Geburtsjahrgänge 1926/1927, als Luftwaffenhelfer in der Flak-Batterie in Stettin Torney. Dort war mir die Aufgabe zugeteilt worden, die jungen Kameraden flakartilleristisch auszubilden, ihre Schularbeiten und ihre Freizeitgestaltung zu begleiten. Zur „Aufsicht und Betreuung von der Batterie befohlen“, schreibt Carl Albert Boetzel.

Unteroffizier Hermann Mikus

Zwei Monate nach dem Beginn ihres Einsatzes in Torney hatten die „Stargarder“ mit uns „Alten“ den ersten großen Nachtangriff der Engländer auf die Hauptstadt ihres Heimatlandes Pommern zu bestehen. Dabei war der größere Teil von ihnen bei mir in der Feuerleitstelle eingesetzt zur Bedienung des Feuerleitgerätes „Kdo Hi 36/37“, wegen seiner Form „Maggiwürfel“ genannt. Mir war der Dienst eines Messstaffelführers übertragen worden. Die Stelle eines Messoffiziers der Batterie war unbesetzt. Am Abend des Angriffstages hörte ich mit dem damaligen Batterieführer Lt. Walentowitz die Konzertübertragung zum Führergeburtstag, die 9. Symphonie von Beethoven (bei einem Rotwein!). Lt. Walentowitz hatte nicht nur eine dienstlich-militärische Aufmerksamkeit für die Luftwaffenhelfer, er hatte - das darf ich mit Überzeugung, mit Freude sagen - ein Herz für sie! Beim Mittagsappell dieses Tages hatte er die Batterie über die Taktik der englischen Nachtangriffe belehrt. Das Gehörte erlebten wir nun mit dem Setzen der ersten „Christbäume“ über Stettin. Von dieser ihrer ersten Bewährung her, so bald schon nach dem Beginn ihres Flak-Dienstes (auch für mich war das der erste große Luftangriff), habe ich die Luftwaffenhelfer der „Oberrealschule/Oberschule zu Stargard“ so lebendig in Erinnerung, dass ihr Andenken nie verblasste.

Befehlsstand

Befehlsstand

Das hat einen weiteren Grund. Am 26.7.1943 erschien unser Regimentskommandeur (Rg. Kdr.), Kommandeur der Flak-Gruppe Groß-Stettin, mit dem Kreisleiter der NSDAP Stettin, in unserer Stellung, um die Situation der Luftwaffenhelfer zu inspizieren. Der Oberst fragte nach meinem Beruf. Auf meine Antwort: „Katholischer Theologiestudent“ forderte der Kreisleiter von mir das Bekenntnis, „ein guter Nationalsozialist“ zu sein. Ich lehnte ab: „Das geht nicht unter einen Hut“. Eine genauere Erklärung, die ich dem fragenden Regimentskommandeur gab (der mich zur Seite nahm und den Kreisleiter vorgehen ließ), führte zur Entscheidung des Oberst: „Der Wachtmeister ist für die Aufgabe bei den Luftwaffenhelfern nicht geeignet, er muss versetzt werden“. So geschah, was ich dem Batterieführer Oberleutnant Kurt Günter als Bedenken geäußert hatte, als er mich zur Begleitung der Luftwaffenhelfer befahl: „Sie werden Schwierigkeiten bekommen, wenn die Partei erfährt, dass hier ein katholischer Theologiestudent die Luftwaffenhelfer betreut." Ich wurde versetzt, kam in verschiedene Batterien, um Messstaffelführerdienst zu tun; hatte also immer mit Luftwaffenhelfern zu schaffen, denn die waren überall an den Feuerleitgeräten eingesetzt. Ich hatte dabei auch noch mal Stettiner um mich, unter dem Batterieführer Oberleutnant Rolf Kauka (10,5 cm Geschütze), der später durch seine weltweit verbreitete Jugendzeitschrift „Fix und Foxi“ bekannt wurde. Meine letzten Luftwaffenhelfer kamen vom Gymnasium „Großes Militärwaisenhaus Potsdam“. Mit ihnen machte ich vom 25.4.-2.5.45 die Flucht von Stettin nach Schwerin, und zwar unter der Führung des Batteriechefs Oberleutnant Willy Scheib. Ihn kannten unsere Stargarder Oberschüler gut. Sie hatten ihn im Sommer 1943, auch an jenem 26.7., als Batterieoffizier in der Stellung Torney erlebt. Er ist meines Alters (Jahrgang 1919), lebt in seiner Heimat Südpfalz und ist stets sehr erfreut, wenn ich ihm von meinen Kontakten mit unseren "Stargardern“ berichte. Er war unserer letzten Batterie mit den genannten Luftwaffenhelfern aus Potsdam ein hervorragender Führer durch die Fluchttage.

Vom Ereignis des 26.7.43 her (möglicherweise schon vorher, es gibt Hinweise dafür) blieb mir die besondere Aufmerksamkeit des NSFO (Nationalsozialistischer Führungsoffizier) „treu“. Das erfuhr ich vom Rg. Kdr. Oberst Dönitz, der mich deswegen in der Stellung "Silberwiese" aufsuchte. Er informierte mich über Stargarder Luftwaffenhelfer in Zabelsdorf, die mit einem Himmlerbild verächtlich umgegangen waren. Daraufhin sei bei einer Besprechung im Stab die Frage laut geworden, ob nicht der katholische Theologe der Anstifter der Luftwaffenhelfer gewesen sei. Der Oberst erwartete meine Stellungnahme und als ich ihm glaubwürdig versichern konnte, diese betreffenden Stargarder gar nicht zu kennen, war er sichtlich erleichtert. Oberst Dönitz war mir sehr gewogen, schon seit meinen Tagen in der Stellung „Odermünde“, vor der Zeit mit Luftwaffenhelfern. Vor ihm hatte mich ein Untergruppenkommandeur, über dessen Namen ich mir leider nicht mehr sicher bin (Major Maul?) schon gewarnt: „Sprechen Sie viel mit Luftwaffenhelfern außerdienstlich? Seien Sie vorsichtig, Sie werden vom NSFO beobachtet". Ein mutiger Kommandeur!

Die Stargarder Oberschüler blieben mir verbunden. Meine Mitteilung meiner Ablösung von der Aufgabe bei Ihnen und meiner Versetzung quittierten sie mit Unwillen. Sie waren gerade mit Schularbeiten in ihrer Unterkunft befasst. Es wurde die Meinung geäußert, man solle an den Oberbefehlshaber der Luftwaffe schreiben. Dessen Vertreter habe doch bei der ersten Besichtigung der Luftwaffenhelfersituation in Torney festgestellt, als ich ihm auf seine Frage hin meinen Beruf nannte: „Dann sind Sie der richtige Mann für diese Aufgabe.“

Nach der Information der Luftwaffenhelfer beendete ich den Tag des Besuches des Parteigewaltigen von Stettin und seines Helfers im Oberstrang durch meinen Besuch im Pfarrhaus von Stettin-Zülchow. Seit meinem 1. Tag in Stettin - 2.2.1941 - war dieses Haus mit der Marienkirche mein wichtigster geistlicher Stützpunkt. Dort erhielt ich alsbald Kenntnis von den Predigten des tapferen Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen, 1941. Er war mir mit seinen Predigten in Münster eine Leitfigur; sein Foto habe ich die ganze Soldatenzeit hindurch bei mir gehabt. Für seine Predigten zeigte sich ein Kamerad, der evangelischer Pastor war, und, von diesem aufmerksam gemacht, mein damaliger Batteriechef in Odermünde stark interessiert. Zülchow hat mich in der Klarheit und Festigkeit der dem Kreisleiter und Regimentskommandeur bekundeten Haltung sehr bestärkt. Vor allem, nachdem einer der drei Hünfelder Patres von der Genossenschaft OMI (Oblaten, katholische Ordensgemeinschaft), die hier als Seelsorger wirkten, Pater Friedrich Lorenz, in Gestapohaft genommen worden war, als der „Fall Stettin“ anlief.

Rückschauend scheint es mir bemerkenswert, dass die Aufmerksamkeit für/gegen den katholischen Theologen als Luftwaffenhelferbetreuer in die Zeit fiel, die diesen so genannten „Fall Stettin" brachte, die große Aktion gegen Katholiken in Pommerns Hauptstadt. In deren Ablauf wurden, beginnend in der Nacht vom 3. auf den 4.2.1943, viele Verhaftungen vorgenommen und eine Reihe von Todesurteilen gefällt. Dabei wurden auch drei Priester ermordet (im „Roten Ochsen“ in Halle), die mir durch ihre Seelsorge in Stettin nahe gestanden hatten, eben auch jener Pater Friedrich Lorenz, OMI. Der „Fall Stettin“ war die umfangreichste Aktion der braunen Machthaber gegen Katholiken auf kommunaler Ebene. Der Kreisleiter der NSDAP von Stettin, den ich (mit Hilfe der Pommerschen Landsmannschaft) nach dem Krieg anschreiben konnte, und den ich um eine Stellungnahme zu jenem 26.7.1943 bat, hat sich entschuldigt, bat um Verzeihung „falls er mir Unrecht getan oder Leid zugefügt habe“. Sein Begleiter und Helfer zur Sicherung linientreuer brauner Gesinnung in der Begleitung der Luftwaffenhelfer, der damalige Kommandeur der Flakgruppe Groß-Stettin, konnte nicht mehr befragt werden. Die Hardt-Höhe teilte mir mit, dass er verstorben sei. Die Luftwaffenhelfergruppe der Oberschüler aus Stargard in Torney hat eine besondere Erfahrung davon machen müssen, dass die Partei mit der Hilfe von parteifreundlichen Offizieren ihre Hand auf die Jugendlichen bei der Flak zu legen versuchte.

An „die Stargarder in Torney“, denen ich anfangs in besonderer Weise zugeordnet worden war, an „meine Stargarder“, binden mich wichtigste Ereignisse in meinen jungen Jahren. Sie waren die erste Gruppe junger Menschen, für die mir eine besondere Verantwortung übertragen wurde. Die Begegnung mit ihnen damals (und in nun schon 63 Jahren danach) ist mit ein Grund tiefer Dankbarkeit ihnen gegenüber. Und ein Grund zum Dank an unseren Herrn, der unsere Wege lenkt. All diesen unvergesslichen guten Weggefährten aus schweren Tagen - ihnen selbst und all ihren Lieben - wünsche ich von Herzen Gottes Segen!

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