Schützenfest in Stargard

Joachim Stampa
Stargard in Pommern
Flausen und Schnurren - 1978

Dieser Beitrag ist eine Dokumentation und keine Erzählung. Das heißt, kein Wort ist hier das Ergebnis meiner Fantasie. Es hat sich beim Stargarder Schützenfest exakt alles so zugetragen, wie es hier geschildert wird. Meine Arbeit war es lediglich, alles in eine ansprechende Form zu bringen, denn die einzelnen Stationen dieses Berichts beruhen auf mündlichen und schriftlichen Darstellungen von Mitgliedern der Schützengilde. Ich war zwar zu Hause bei jedem Schützenfest dabei, aber nur als Zaungast, nicht als Schützenbruder. So kann ich aus eigener Kenntnis nur über den äusseren Rahmen des Schützenfestes schreiben, nicht aber über die vielen internen Dinge, die hier vorkommen. Den Abschnitt über das Festessen im Schützenhaus lieferte mir Schützenwirt Barfknecht noch persönlich aus Meldorf, seinem schleswig-holsteinischen Exil, kurz vor seinem Tode.

Fahne der Schützengilde

Stargarder Heimattreffen 2005 in Elmshorn
Am 25.9.2005 wurde die Weihe der Traditionsfahne der Privilegierten Stargarder Schützengilde vollzogen.

Wenn Stargarder an Pfingsten denken, so denken sie an das Schützenfest. Dann hören sie das Gedudel der Leierkästen auf dem Weidensteig entlang der Ihna vom Blücherplatz bis zum Walltor, dann sehen sie das festliche Gelaufe auf dem Großen Wall, in der Schuhstraße, der Ravensburgstraße, dann spüren sie das Geschiebe und Gequetsche auf dem Schützenplatz selbst und auf dem Nebenplatz an der Schützengasse, wo buchstäblich kaum Luft zu holen war, wo man „im Stehen sterben" konnte. Dann hören sie das Militärkonzert der Regimentsmusik im Pavillon des Schützenhauses bei Barfknecht, das ununterbrochene Gewehrfeuer im Schießstand und hin und wieder einen Böllerschuss. Die Sonne brennt auf Rohweders Berg- und Talbahn, den Mittelpunkt des Volksvergnügens, des bunten Treibens, die Avusbahn von Schippers von der Ville, die Achterbahn, die Schwankende Krinoline und all die Buden, Restaurationszelte, große und kleine Attraktionen, der lange Joseph, der dickste Mann der Welt, die Siamesischen Zwillinge, das rollende Fass, das Gruselkabinett, die Zauberbuden: So war unser Schützenfest! Türkischer Honig, Johannisbrot, gebrannte Mandeln, Luftschlangen, Konfetti und Federpüschel auf kurzen Rohrstöckchen, die den Mädchen unversehens ins Gesicht oder an die blanken Arme fuhren. Das alles umfasst für einen Stargarder der Begriff „Pfingsten".

Mittelpunkt des Geschehens, des Geschiebes und Gelaches waren jedoch die ernst und würdig in Gehrock und Melone daherschreitenden Schützen selbst. Beim Ausmarsch am dritten Pfingsttag morgens und beim Festzug mit dem neuen Schützenkönig am vierten Festtag abends: Bei diesen beiden Gelegenheiten sah man die Gilde in Reih und Glied, mit Fahnen, Orden und Ehrenzeichen, rund zweihundertvierzig an der Zahl. Im übrigen aber traten sie wie andere Bürger auch auf, als ihre eigenen Festgäste. Unter den Zehntausenden von Besuchern aus Stadt und Land fielen sie nicht mehr auf. Vorwiegend am Pfingstmontag kamen die ländlichen Besucher zum Schützenplatz. Dann hielten sich die Einheimischen etwas zurück - nicht aus Eitelkeit, sondern rein darum , weil sonst überhaupt kein Durchkommen mehr gewesen wäre.

Die Privilegierte Schützengilde Stargard's ist sehr alt. Sie wurde im Jahre 1536 gegründet, als Martin Luther noch lebte. Zwei Jahre zuvor war erst auf dem Treptower Landtag die Einführung der Reformation in Pommern beschlossen worden. Alles war im Umbruch. Das Steinerne Kreuz stand noch nicht, das wurde erst sechs Jahre später aufgestellt. Weder von Peter Groening, noch von seinem Vorgänger Joachim Appelmann wussten die Gründer etwas. Damals bestand noch das Herzogtum Pommern, und der Landesherr residierte in Stettin im Schloss. Es war das Zeitalter der großen Entdeckungsreisen. Kolumbus war dreißig Jahre tot, Amerigo Vespucci vierzehn, Vasco da Gama zwölf. Kopernikus lebte noch, und Galileo Galilei wurde erst achtundzwanzig Jahre später geboren. Damals also war noch die Erde Mittelpunkt der Welt, und Sonne und Mond umkreisten sie in stetigem Wechsel.

In Stargard war gerade das letzte Loch im Befestigungsgürtel geschlossen worden. Das alte, gotische Rathaus auf dem Markt war in den Formen der Frührenaissance umgebaut worden und besaß auf jedem Giebel einen hohen Turm. Welt und Stadt sahen völlig anders aus als zu unserer Zeit. Matthias Grünewald war erst vor acht Jahren gestorben, Hans Holbein der Jüngere lebte noch, ebenso Michelangelo Buonarotti, Leonardo da Vinci, das Universalgenie damaliger Zeit, war siebzehn Jahre zuvor in Frankreich gestorben.

Schützenhaus 2007 Vorderseite

Schützenhaus 2007 Vorderseite

So alt ist unsere Schützengilde! Und sie besteht noch! Alle 2 Jahre beim Stargarder Patenschaftstreffen schießen unsere Schützen auf dem Elmshorner Schießstand, und die Königsproklamation nimmt jetzt der Bürgermeister der Stadt Elmshorn vor. Von dem heimatlichen Königsgeschmeide sind noch mehrere wertvolle Stücke vorhanden. Sie werden in einem Elmshorner Stahlschrank verwahrt. Seit 1975 besitzt die Gilde wieder eine Königskette, angefertigt von dem Goldschmiedemeister Gerhard Hakelberg aus Stargard. Sie wurde anlässlich des Königsschießens beim Stargarder Patenschaftstreffen des Jahres gestiftet und dem neuen König Günter Plautz aus Lübeck als erstem um den Hals gehängt.

Pfingstsonnabend

Das Stargarder Volksfest begann am Sonnabend vor Pfingsten mit der Marschprobe im Schützengarten, wobei die Regimentsmusik die Märsche zu Gehör brachte, die sie beim Ausmarsch am kommenden Morgen zu spielen beabsichtigte. Diese Sitte, seit Jahrhunderten Tradition, stammt ganz offensichtlich noch aus einer mittelalterlichen Epoche, da die Stadtpfeifer tatsächlich und allen Ernstes auf ihre Befähigung hin von der Gilde geprüft werden mussten. In unseren Tagen war das eines der vielen Militärkonzerte, wie diese während der Schützenfesttage immer wieder geboten wurden. In diesem Falle allerdings wurde ausschließlich Marschmusik gespielt und kein einziges Konzertstück.

Schützenhaus 2007 Rückseite

Schützenhaus 2007 Rückseite

Man muss bedenken, das 1536 in Stargard noch keine Garnison bestand. Diese wurde erst anderthalb Jahrhunderte später, 1670, errichtet, und auch dann war an „Militärmusik" in unserm heutigen Sinne noch für weitere Jahrhunderte nicht zu denken. Wir jedoch kannten nur unsere Soldaten in Uniform an der Spitze des Schützenzuges, und die Namen ihrer Dirigenten, Musikdirektoren, Musikmeister, Ober- und Stabsmusikmeister, waren jedem geläufig: Kohlmann, Ahlers, Liepe, Grothe, Schlegel. Die Regimentsmusik war ein unentbehrlicher Bestandteil des Schützenfestes.

Pfingstsonntag

Wir junges Volk waren am ersten Tag, Pfingstsonntag, schon früh auf den Beinen. Dann wurden von sechs bis sieben Uhr die offiziellen Ständchen gespielt. Punkt sechs begann das erste beim König, danach ging es, womöglich quer durch die Stadt, zu Fuß mit Instrumenten zum Vorsteher der Gilde und anschließend zum Hauptmann. Der letzte König in Stargard war Dentist Krüger aus der Holzmarktstraße, und der letzte Vorsteher der Gilde war Kaufmann Rudolf Hoeft, Lehmannstraße. So manchesmal habe ich den Soldaten die Kesselpauken schleppen helfen. Mit Petrus war ein Übereinkommen getroffen, dass es nicht regnen durfte. Während sich dann vom frühen Vormittag, nach der Kirchzeit, bis zum späten Abend die Menschen, jung und alt, auf dem Rummelplatz durch die Budenreihen drängelten, gab es noch zwei Militärkonzerte im Pavillon des Schützenhauses bei freiem Eintritt. Das bezahlte die Gilde alles aus den von den Schaustellern erhobenen Standgeldern.

Pfingstmontag

Am Pfingstmontag, dem Zweiten Festtag, wurde morgens von sieben bis neun Uhr ein Frühkonzert gegeben und am Nachmittag oder Abend des gleichen Tages noch ein weiteres. Da hatte der Chef des Musikkorps ein umfangreiches Repertoire bereitzuhalten, denn es war selbstverständlich, das jedesmal ein anderes Programm und kein Stück zweimal gespielt wurde.

Pfingstdienstag

Am Dienstag, dem „Dritten Festtag", ging es dann aber erst richtig los! In aller Herrgottsfrühe, vor fünf Uhr wohl schon, liefen in mehreren Abteilungen je ein Pfeifer und ein Trommler zum Wecken durch die Straßen, damit ja niemand von den Schützen den Dienst verschlafe. "Seesoldat, Seesoldat, ste-he-he auf, zieh deine Hängematt und komm herauf! Wer nicht kommt zur rechten Zei-hei-heit, der bekommt eine Strafarbeit." Ich habe die Weckmelodie noch im Ohr, habe ich sie doch alle Jahre gehört, wenn die beiden Spielleute vom Turnverein durch die Königstraße trommelten und pfiffen, -uralter Brauch!

Aber nicht nur die Schützen, denen das Wecken galt, drehten sich nicht nochmal auf die andere Seite: Viele, viele Bürger unserer Stadt, junge und alte, zogen Festtagskleidung an, steckten die Fahne aus dem Haus und eilten dann zum Markt, wo die Gilde alljährlich um sieben Uhr antrat. Auch hier war das Zeremoniell Jahr für Jahr das gleiche, sicher seit Jahrhunderten schon! In Doppelreihe waren die Schützen in Gehrock und steifem runden Hut, den Hirschfänger übergeschnallt, gegenüber dem Rathaus angetreten, die Regimentsmusik und die Spielleute vom Turnverein am rechten Flügel. Es wurde ausgerichtet, in Gruppen abgezählt, stillgestanden. Unter den Klängen des Präsentiermarsches wurde die alte Gildefahne aus dem Rathaus geholt, und die Fahnengruppe setzte sich an die Spitze. Nun ging es „in Gruppen rechts schwenkt marsch !" , die Spielleute spielten das Locken, und mit klingendem Spiel zogen die Schützen, links und rechts von Bürgerscharen begleitet, durch die Straßen, um den König abzuholen.

Dieser hatte sich mit seinen Gästen für die Last des bevorstehenden Tages ein wenig gestärkt. Auch hier wurde eingeschwenkt, stillgestanden, die Augen links genommen, der Präsentiermarsch gespielt, wieder ausgeschwenkt, und dann folgte der Ausmarsch zum Schützenplatz durch die immer sehr reich mit Fahnen ausgeschmückten Straßen der Stadt. Gewöhnlich ging es über den Großen Wall, durch das Walltor, die Wilmsstraße, die Schützengasse zum Schützenhaus.

Wenn der Festzug dort ankam, wurden die drei Böller gelöst, wie auch schon morgens um sechs geschehen. Der Böllerkanonier stand mit seinen drei Miniaturgeschützen immer in Bereitschaft, die Böller mit Schwarzpulver und Papier geladen und den Eisenhaken zum Abbrennen im Koksofen, um bei besonderen Gelegenheiten, die ihm immer wieder gegeben wurden, seinen Salutschuss abzufeuern. Jedesmal nämlich, wenn ein Schütze einen „Knopf" geschossen hatte, kam vom Schießstand ein Zeichen, und dann ging der Böller ab. Der Knopf, das lose Mittelstück der Scheibe, wurde von einem hübschen, feingemachten Mädchen hinter Trommler und Pfeifer unter Begleitung von Schützen vom Scheibenstand nach vorne gebracht und dem Schützen, piekfein auf einem Teller, überreicht.

Am Dienstag begann um neun Uhr morgens das Adlerkönig-Schießen. Früher wurde nach einem hölzernen Adler auf hoher Stange geschossen. Ein Gastwirt jedoch aus der Zartzigerstraße, dessen Aufnahme in die Gilde abgelehnt worden war, wies eines Tages Gewehrkugeln vor, die er angeblich auf seinem Grundstück gefunden habe und die aus Gewehrläufen der Schützengilde stammen sollten. Um allem Ärger aus dem Wege zu gehen, wurde daraufhin noch vor dem Ersten Weltkrieg das Ädlerkönig-Schießen auf den Schießstand verlegt und nach der Scheibe geschossen. Die Proklamation des Adlerschützenkönigs geschah um 13 Uhr. Danach fand das Mittagessen statt, während dessen die Militärmusik die Tafelmusik stellte, und zwar das ganze Musikkorps unter Leitung seines Musikmeisters.

Das Mittagessen war seit Menschengedenken stets das gleiche:

Schützenwirt Barfknecht musste höllisch auf dem Quivive sein, wenn so ein Festessen von rund dreihundert Gästen einschließlich der Ehrengäste klappen sollte! Am Nachmittag war Gartenkonzert der Regimentsmusik für jedermann bei freiem Eintritt.

Mittwoch

Das Königsschießen begann am Mittwoch, dem „Vierten Festtag", morgens um neun Uhr. Jeder Schütze hatte drei Schuss. Von 13 bis 15 Uhr war Mittagspause, danach wurde weitergeschossen bis 18 Uhr. Am Nachmittag kursierten dann bereits Gerüchte in der Stadt, dieser oder jener hätte so gut geschossen, dass er wohl König werden könnte. Das war wichtig, denn wenn dieser in der Lehmannstraße wohnte oder auf dem Preußenweg, ging der Festzug bis dahin. Der König wurde von der Gilde stets mit Musik nach Hause geleitet. Um sechs Uhr abends war dann in der Ravensburgstraße ein heilloses Gedränge. Die Bevölkerung war zu Tausenden dabei, denn der Schützenkönig war für alle der Volkskönig, sozusagen der Mann des Jahres.

Drei Böllerschüsse fielen, ließen aufhorchen. Jetzt wurde der neue König drinnen im Saal durch den Oberbürgermeister der Stadt proklamiert. Dann pflegte es nicht mehr lange zu dauern, bis die Musik mit Trommeln und Pfeifen begann, das Locken der Spielleute erklang und das Musikkorps mit Posaunen und Trompeten einsetzte. Sobald die Pauke dröhnte, setzte die Menschenmasse sich in Bewegung. Irgendwie hatte es jeder erfahren, wer nun König geworden war, und wo dieser wohnte, wusste man natürlich auch.

Den Zug begleitete wieder eine aufgeräumte Menge, und nicht nur junge Leute und Halbwüchsige. Die Jahrhunderte alte Tradition hatte die Gilde und ihr Schützenfest so stark im Bewusstsein der Stargarder verankert, dass sich niemand zu vornehm oder zu reich oder zu arm vorkam, um diesen Festtag von Herzen mitzufeiern und den Königs-Festzug zu begleiten. An diesen Tagen war überall in der Stadt geflaggt, und man konnte leichter die Häuser zählen, wo keine Fahne ausgesteckt war, - auch in Gegenden, in die die Festzüge nicht zu kommen pflegten. Zweihundertvierzig Schützen wohnten eben in zweihundertvierzig Häusern in allen Stadtteilen. Und Fahnen hingen ebenso in der Beguinenstraße, der Villenstraße oder auf dem Werder.

Bei den Festveranstaltungen im Saal waren immer die Honoratioren der Stadt als Ehrengäste zugegen: Der Oberbürgermeister und der Bürgermeister, der Landrat des Kreises Saatzig, der Regimentskommandeur mit seinem Adjutanten, der Kommandeur des Fliegerhorstes Klützow mit seinem Adjutanten, der Landgerichtspräsident, der Amtsgerichtsdirektor und andere mehr. Das war immer eine hochoffizielle Angelegenheit für alle Beteiligten. Niemand in der Stadt, gleichgültig, welcher politischen Partei er den Vorzug gab, hätte auch nur den Gedanken gefunden, den Ablauf des Schützenfestes irgendwie zu stören. Alle zogen am gleichen Strang.

Der Festzug mit dem neuen König zog stets aus der Ravensburgstraße rechts ab in Richtung Neues Tor und Innenstadt. Man musste lange Beine machen, denn die Musiker waren Soldaten, und die hatten einen gewaltigen Schritt am Leibe. Überall beugten sich die Menschen aus den Fenstern, säumten die Straßen. Dann quoll die Menschenmenge um die Ecke. Lachen und Schwatzen wurden übertönt von dem Paukenchlag und der Marschmusik.

Fünfzig, achtzig Meter hinter der vorausströmenden Menge fand man dann den Tambourmajor des Turnvereins als eigentliche Spitze des Zuges in seiner weißen Turnerkleidung mit dem Tambourstab. Dann folgten die Reihen der Spielleute, darauf der Herr Musikmeister mit seinem Musikkorps, immer an die vierzig Mann stark oder mehr.

Und dann kam der Scheibenzeiger. Der war den ganzen Tag, und gestern auch schon! in seiner Deckung hin und her gesprungen, um die Scheiben zu bedienen, zu verpflastern, die geschossenen Ringe anzuzeigen, den Böller-Kanonier zu alarmieren, die Knöpfe abzuschicken, neue aufzusetzen, und was der Arbeit mehr war. Der Mann hatte zu tun! Nun trug er das umkränzte Gewehr des Schützenkönigs. Alle anderen Schützen gingen ohne Gewehr, nur mit dem Hirschfänger.

Die nächste Reihe bildeten der Schützenkönig und seine beiden Ritter, und dann kam die Gilde mit Fahne in Reih und Glied, die Knöpfe, die man geschossen hatte, hinter das Hutband gesteckt. War der König mit seinem Gefolge nach Hause gebracht und mit dem Präsentiermarsch verabschiedet, dann war für die Öffentlichkeit wieder einmal der schönste Tag im Jahr zu Ende, und alles ging zufrieden und guter Dinge nach Hause, um die Fahne einzuziehen. Übers Jahr war ja ganz gewiss wieder ein Schützenfest!

Sonnabend nach Pfingsten

Für die Schützen dagegen war noch nicht Feierabend, vor allem nicht für den neuen König. Für diesen kamen jetzt die Aufgaben, welche Geld kosteten. Schützenkönig zu werden, war eine kostspielige Angelegenheit. Darum hatte die Gilde eine Versicherung eingerichtet, um dem König die Ausgaben zu erleichtern. Jeder zahlte drei Mark ein und war damit bis zu dreihundert Mark versichert. Man konnte aber  auch die Prämie auf fünf oder zehn Mark erhöhen. Damit wuchs je nach Beteiligung beim Schießen auch die Versicherungssumme. Mit diesem Geld kam der König jedoch lange nicht aus. Oftmals musste er wohl das Doppelte noch dazulegen.

Schützenhaus von innen

Schützenhaus ca. 1920
Photo - Haus W.Habermann, Stargard i. Pom.; Kolorierter Lichtdruck; MS/H/463

Zunächst musste seine Gattin ein neues Kleid bekommen für den Festabend am Sonnabend nach Pfingsten, und die Schneiderin - es war üblich, dass eine ganz bestimmte das nähte - musste sich beeilen, dass es auch fertig wurde. Es war ja nur von Donnerstag-Morgen bis Sonnabend gegen Abend Zeit. Etwa ein "Kleid von der Stange" in einem Konfektionsgeschäft zu kaufen, stand gar nicht zur Debatte. Am Sonnabend fand nämlich im Schützenhaus der Königsball mit anschließendem Kommers mit Damen statt, und dafür musste der König aufkommen.

Sonntag nach Pfingsten

Mit einem Abschlussschießen am Sonntag nach dem Pfingstfest war dann das alljährliche Schützenfest zu Ende. Am Montag bauten dann auch die Schausteller wieder ab, rege unterstützt von Jungen und Mädchen, die sich nützlich machten und auch gebraucht wurden. Mancher Sechser und Groschen wurde unter den Buden und Karussells gefunden. Das war die ganze Belohnung. Sonst gab es nur die Freude, mitgeholfen zu haben. Tempora mutantur!

Beim Königsschießen war es gelegentlich üblich, dass Ehrenschüsse für eine hochgestellte Persönlichkeit abgegeben wurden. So konnte beispielsweise  ein Schütze, der Aussicht hatte, König zu werden, vor Abgabe seines Schusses sagen.

"Diesen Schuss gebe ich ab zu Ehren Seiner Majestät des Königs von Preußen."

Wurde er dann mit diesem Schuss tatsächlich König, so war damit der König von Preußen Ehrenkönig. Das ist mehrmals geschehen, und die Gilde verwahrt manches Erinnerungsgeschenk in Gold oder Silber an solche königlichen Ehrenkönige. Zu meinen Lebzeiten wurde, da es keinen König mehr gab, der Reichspräsident statt seiner genannt. Auf diese Weise wurde einmal Reichspräsident von Hindenburg Ehrenkönig der Stargarder Privilegierten Schützengilde von 1536. Fleischermeister Carl Ruh aus der Radestraße am Markt hatte eine saubere Zwölf geschossen, genau das Herz aus dem Fadenkreuz heraus.

Hindenburg nahm, wie das üblich war, die Ehren-Königswürde an und ließ der Gilde eine silberne Erinnerungsplakette zugehen, die dann an die Königskette gehängt wurde. Und als er im gleichen Sommer mit einem Sonderzug durch Stargard kam - hier wurden immer die Lokomotiven ausgewechselt ‑ war die Gilde auf dem Bahnsteig angetreten, um ihren Ehrenkönig zu begrüßen. Der Sonderzug wurde damals ganz gegen die Regel auf Gleis 1 gefahren, weil hier der Bahnsteig breiter war und die Stargarder Bevölkerung den Gefeierten auch reichlich zu sehen bekam. Da konnte auch ,,kein Appel zur Erde", so viele Menschen waren auf dem Bahnhof zusammengeströmt. Alle Sperren waren geöffnet, alle Schulen hatten frei. Ich saß auf dem Dach des kleinen Fahrkartenhauses neben der Bahnpost, war auch einer der vielen Jungen, die hingekommen waren zum Kieken und zum Jubeln.

 

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