Kino "Capitol" in Stargard in Pommern (1938)

Dietrich Otto
Heimatkreisarbeiter Stargard

Dieser Artikel ist ein Auszug einer umfangreichen Würdigung des Architekten Otto Werner (1885-1954). Er ist im Internet zu finden unter http://www.txts.de/architekt-otto-werner.de/faf.htm. Dabei handelt es sich um eine Magisterarbeit von Andreas Bäumle. Der Artikel wurde mir von dem Enkel Wolfgang Werner zusammen mit ergänzenden Bemerkungen zur Geschichte des Kinos zur Veröffentlichung angeboten.

Wolfgang Werner äußert sich zur Geschichte des Films wie folgt: "Der Ursprung des Kinos war der Rummelplatz. Die ersten Kinos waren Jahrmarktbuden oder Zelte, wo Filme meistens mit einem Erklärer abgespielt wurden. Die Schausteller mussten die Geräte und die dazugehörigen Filme kaufen. Ein Filmverleihgeschäft gab es damals noch nicht. Durch die Einführung der Gewerbefreiheit entstanden kleinere und größere Unterhaltungsstätten der unterschiedlichsten Coleur. Erst jetzt folgten kleinere und größere Ladenkinos, die so genannten Kinematographentheater, von den Berlinern verballhornt als Kintopp. Dort wurden weiterhin Filme von einem Erklärer erläutert und meist auch musikalisch mit einem Pianisten oder Geiger unterstützt. In der Oberschicht war Kino verpönt, sie besuchten lieber Theater-, Konzert- oder Opernvorstellungen. Die kleinen Leute gingen auf Jahrmärkten, in Ballhäuser, Varietés, Gartenlokale oder in die Revue.

Der 1.11.1895 geht in die Filmgeschichte ein. Es ist der Tag der Gebrüder Skladanowsky, die mit ihren patentierten Apparaten im Berliner Wintergarten-Varieté die erste öffentliche Kinovorführung vor zahlenden Zuschauern in Europa durchführten. Der Bau großer Kinohäuser mit ihren Orchestergräben und Kino-Orgeln wurde hauptsächlich durch Bierbrauereien vorangetrieben. Die verschiedensten Brauerei-Aktiengesellschaften witterten ein großes Geschäft. Der Bierabsatz sollte in erster Linie gesteigert werden."

 

Kino Capitol in Stargard

Capitol in Stargard - vorne links

Mit dem "Cines" von Oskar Kaufmann entstand 1912/13 das erste freistehende und ausschließlich als Film-Theater entworfene Gebäude am Nollendorfplatz in Berlin. Otto Werners Tätigkeit als Architekt für Lichtspieltheater fiel in eine Zeit, in der besonders die Stadt Berlin erneut eine Blüte des Kinobaus erlebte - die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Obwohl es das Medium Film noch immer schwer hatte, in allen Bevölkerungsschichten Anerkennung zu finden, entstanden in dieser Zeit beinahe 400 Kinohäuser. Als die Erfindung "Tonfilm" im Jahre 1929 Berlin erreichte, waren die meisten Lichtspieltheaterbauten bereits errichtet, so dass diese technische Neuerung keinen entscheidenden Einfluss mehr auf die Konstruktion der Gebäude nehmen konnte. Otto Werner hat das "Filmtheater am Friedrichshain" (1924/25), das "Elysium" (1926), beide in Berlin gelegen, und das "Capitol" (1938) in Stargard errichtet. Nur das "Filmtheater am Friedrichshain" existiert noch.

Capitol in Stargard Innenansicht

Capitol in Stargard - Innenansicht

Das von Otto Werner im Jahre 1938 erbaute Kino "Capitol" in Stargard kann als eine logische Fortentwicklung seiner Kinoarchitektur verstanden werden. Im Entwurf nimmt es mit seiner nüchternen und kühlen, die Vertikale überaus betonenden, Fassade schon die Architektur der dreißiger Jahre vorweg. Der ausgeführte Bau erschien jedoch, wie das "Filmtheater am Friedrichshain" als historisierender Tempelbau. Auf langgestrecktem Grundriss erhob sich das zweigeschossige Rang-Filmtheater mit 939 Plätzen. Die 18 m breite Eingangsfront war auf ganzer Breite durch einen fünfachsigen Portikus gegliedert, der das untere Drittel der Hauptfassade beherrschte und durch dessen mittlere drei Achsen man Zutritt zum Filmtheater hatte. Die beiden oberen Drittel der Fassade wurden durch sieben, bis unter das Kranzgesims reichende, schmale, hochrechteckige Fenster durchbrochen. Darüber folgte als Abschluss der Dreiecksgiebel. Die Seitenwand, die nicht an ein angrenzendes Gebäude schloss, war im Obergeschoss durch ein ungewöhnlich großes Rundbogenfenster durchbrochen. Mit dem Grundriss und dem historisierenden Erscheinungsbild lieferte Otto Werner mit diesem Kino ein weiteres Beispiel seiner antikisierend hervorgebrachten Baukunst, das deutlich Parallelen zum "Filmtheater am Friedrichshain" aufweist. Allerdings ist ein starker Einfluss moderner Architekturauffassung deutlich spürbar, der nicht nur auf das Geschick sondern auch auf die Flexibilität des Architekten hinweist.

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