Brand der Synagoge

Joachim Stampa:
Stargard in Pommern
Schicksale einer deutschen Stadt

Die Reichsführung der NSDAP hatte bestimmt, dass in der Nacht vorn 9. zum 10.November 1938 allenthalben im Deutschen Reich die jüdischen Gotteshäuser, die Synagogen, niedergebrannt werden sollten. Die Feuerwehren wurden davon unterrichtet mit dem Auftrag, sich auf den Schutz der Nachbargebäude zu beschränken, wenn man nach verspätetem Ausrücken zu der brennenden  Synagoge käme. Es war die so genannte "Kristallnacht".

In Stargard hat die Synagoge nicht ein  feuriges Erde gefunden. Das kam so: Der Verfasser dieses Buches und dieser Zeilen war damals Angehöriger der Freiwilligen Feuerwehr von Stargard und zugleich Verbindungsmann zur NSDAP. Zugleich genoss er in erheblichem Umfang das uneingeschränkte Vertrauen des Oberbürgermeisters Dr. Völker.

Ich wurde also zur Kreisleitung gerufen und erhielt dort die oben erwähnte Anweisung. Ich fragte, wie das denn praktisch zu bewerkstelligen sein sollte.  Einmal wüssten wir nicht, wann wir durch den Feuermelder alarmiert würden, und zum anderen wäre es doch völlig ungewiss, ob nicht an anderer Stelle über den gleichen Feuermelder die Hilfe der Wehr gebraucht würde. Es kam zu dem Schluss, dass die Wehr bei Alarm zwar wie gewöhnlich zügig ausrücken sollte, dass dann aber, falls sie wegen des Synagogenbrandes und nicht wegen eines anderen Feuers tätig werden sollte, nur der Schutz der Nachbargebäude übernommen werden, die Synagoge aber brennen gelassen werden sollte.

Mit dieser Weisung ging ich zu Dr. Völker und teilte dem das mit, fragte zugleich, was er von der Sache hielte und ob er die Anweisung der Kreisleitung unterstütze. Ich sei der Ansicht, Brandstiftung sei Brandstiftung, gleichgültig, wer sie verübe, und die Feuerwehr sei dazu verpflichtet, Schadenfeuer zu verhindern. Ich erhielt von Dr. Völker den Auftrag, mit dem Kreisfeuerwehrführer Julius Richardt und den übrigen Mitgliedern des Führerrates Rücksprache zu nehmen: Wir sollten in jedem Fall ausrücken und den Brand in der Synagoge in gewohnter Weise ablöschen. Er werde uns gegenüber der Kreisleitung den Rücken decken.

Am kommenden Morgen gingen noch bei Dunkelheit die Feuersirenen. Ich sprang in meine bereitliegende Feuerwehr Uniform, setzte mich auf meine BMW und fuhr unmittelbar zur Synagoge, denn dort war uns ja das Feuer avisiert worden. Ich traf erheblich früher dort ein als die Fahrzeuge der Wehr, die dann aber auch den Johannisberg herunterkamen. Ich war vorher noch nie auf dem Grundstück gewesen und hatte nur eine sehr ungenaue Vorstellung von dem Bau.

Die Haustür des Wohngebäudes an der Speicherstraße stand offen. Im Hause herrschte gedämpfte Unruhe. Es gab kein Schreien und Rennen. Auf dem Teppichläufer war Kiefern Brennholz aufgeschichtet gewesen, das dann angezündet worden war. Offenbar ist die Brandstiftung durch Hausbewohner entweder geahnt oder frühzeitig bemerkt worden. Denn die Holzscheite waren ‑ wohl mit einem Fußtritt ‑ auseinander gestoßen worden. Hier brauchte überhaupt nichts mehr durch die Wehr getan zu werden. Dieser Brandherd würde spätestens in einer Viertelstunde von selber ausgegangen sein. Ähnlich war es mit einem zweiten Brandherd, der im Saal auf dem Gang aufgebaut und angesteckt worden war. Auch hier glommen nur noch ein paar Stücken Brennholz. Eine Frau war im Saal am Altar damit beschäftigt, Leuchter und Geräte einzusammeln und fortzuschaffen. Als die Wehr vorfuhr. meldete ich den Sachverhalt. Die Örtlichkeiten wurden abgesucht, ob noch sonst irgendwo ein Brandherd gelegt sei. Das war nicht der Fall, und die Wehr rückte wieder ab ins Depot in der Hindenburgstraße.

Bei der anschließenden Besprechung des Brandfalles wurde allgemein betont, dass das Verhalten der Wehr in diesem Brandstiftungsfalle richtig gewesen sei. Die Feuerwehr sei dazu da, Brände zu verhindern ‑ ganz gleich. wie sie entstanden seien. Obendrein wurde die primitive Art und Weise belächelt, mit der hier ein großes Haus hatte eingeäschert werden sollen. Mit einer einzigen Milchkanne voll Wasser hätten beide Brandherde abgelöscht werden können.

Im Laufe des Vormittags ‑ ich war als städtischer Beamter im Rathaus im Dienst ‑ wurde ich abermals in die Kreisleitung gerufen, die damals in dem Giebelhaus Radestraße 19 über der Sparkasse residierte. Der Kreisleiter Siegfried Schug stellte mich mit rüden Worten zur Rede, warum wir die Synagoge nicht hätten brennen lassen. Überall im Reich seien die Synagogen in der vergangenen Nacht abgebrannt, nur in Stargard nicht. Ich sagte ihm von der Anweisung des Oberbürgermeisters, dass wir in jedem Falle ausrücken sollten, und von der lächerlichen Art und Weise, wie das Feuer gelegt worden sei. Die Wehr hätte gar nicht erst in Aktion zu treten brauchen. Ich bekam vom Kreisleiter die Anordnung mit, am kommenden Morgen, wenn wieder die Sirenen gehen würden, so zu verfahren, dass diesmal die Synagoge eingeäschert werden würde. Wieder ging ich damit zu Dr. Völker, der damals auf Grund der Deutschen Gemeindeordnung autoritärer Dienstvorgesetzter der Stargarder Polizei und der damals "Feuerlöschpolizei" genannten Feuerwehr war. Und wieder bekam ich die gleiche Anordnung wie am Vortage: Ausrücken beim ersten Sirenenton und ablöschen.

Am kommenden Morgen war das gleiche Theater wie am Vortage: Die Sirenen gingen, ich war der erste Feuerwehrmann an der Synagoge, wieder primitive Brandnester, diesmal ein paar mehr, aber bei weitem nicht ausreichend, wenn so ein großes Gebäude sollte eingeäschert werden. Hier war deutlich zu merken, dass die Stargarder SA keinerlei Übung im Legen von Bränden hatte. Offensichtlich hatten die Jüdischen Bewohner der Stadt inzwischen Fühlung mit ihren Glaubensgenossen in anderen pommerschen Städten aufgenommen und waren vorbereitet gewesen, hatten wohl gar gewacht und darauf geradezu gewartet. So war die Feuerwehr sehr frühzeitig alarmiert worden. Allerdings war es nicht möglich gewesen, die 4 oder 5 Brandherde in dem verqualmtem Saalgebäude selbst zu löschen, und die Feuerwehr musste das Feuer mit einer kleinen Schlauchleitung  „auspusten“.

Ein drittes Mal versuchte die Partei nicht, die Synagoge niederzubrennen. Nach ein paar Tagen wurde in ihrem Dachstuhl an der Nordwestecke, neben dem Salzspeicher, ein kleiner Sprengsatz zur Entzündung gebracht, der den Dachstuhl so stark beschädigte, dass das Gebäude polizeilich gesperrt wurde. Die Synagoge wurde daraufhin abgebrochen.

 

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