Marienkirche waagerechtes Band

IV. Das Innere der Marienkirche

Superintendant Heinrich Brück, Pastor primarius von 1900-??? in der Marienkirche
Stargarder Jahresblatt 1995

Die kurzen Ausführungen über das Innere der Kirche wollen weiter nichts bezwecken, als die Eindrücke der Schönheit und Erhabenheit, die jeder Beschauer empfängt zum deutlichen Bewusstsein bringen und so der stummen Sprache der Steine Worte verleihen. Mächtig wirkt vor allem die Höhe des Mittelschiffes, die bis zum Gewölbescheitel rund 32 m zählt, während die Länge der Kirche 78 m, die Breite 39 m beträgt. Wie schon im Äußern das Überragen des Mittelschiffes für den ganzen Bau kennzeichnend ist, so tritt dies Streben zur Höhe im Innern noch viel deutlicher hervor. Wuchtig, aber ohne plump zu sein im Hauptschiff, leichter und in ihrer Gliederung reizvoller im Chorraum steigen die Linien mit ihrer der Architektur angepassten gotischen Färbung aufwärts, um in dem herrlichen Barockgewölbe auszulaufen, das sich mit seinen zierlichen Formen, mit seiner innigen Bemalung wie ein Sinnbild der oberen Welt ausbreitet, zu der die Seele unwillkürlich emporgehoben wird.

Marienkirche Gesamtansicht

Angenehm berührt auch die Harmonie in den Höhenverhältnissen vom Mittelschiff zu den Seitenschiffen und von den Seitenschiffen zu den Kapellen, wodurch das allmähliche Emporsteigen des Raumes zu seiner gewaltigen Höhe aufs glücklichste vermittelt wird. Blicken wir vom Hauptportal her in den Chorraum hinein, so bemerken wir, wie hier an das hohe Mittelschiff ein niedrigeres Seitenschiff sich anlehnt, und wie dieses wieder durch das Hineinziehen der Strebepfeiler ins Innere der Kirche von einem reichen Kranz von Kapellen umgeben ist, die in geringer Höhe überwölbt und mit besonderen Fenstern versehen zuerst der Heiligenverehrung und später als Begräbnisstätten dienten. Wir sehen ferner, wie durch das Hineinziehen der Nebenpfeiler ins Innere der Kirche oben im Mittelschiffe die wundervolle Galerie, bestehend aus einem hohen Triforium, aufgeführt worden ist, die sich im ganzen östlichen Deutschland nicht wiederfindet. Über diesem Triforium fast unmittelbar unter dem Gewölbe ist dann noch ein zweiter Umgang hergestellt worden. Unterhalb des Triforiums sehen wir einen Gitterfries, der wie ein zartes Band das Innere des Chors umschlingt. An den Säulen ist derselbe Fries angebracht, unter dem sich die mit Baldachinen überspannten Kirchen für Statuen befinden. Bemerkenswert ist auch die schon erwähnte Pfeilerstellung im Mittelschiff, die beim Blick von Westen her kein einziges Fenster sehen lässt. Gerade diese, durch die farbigen Fenster noch mehr gedämpfte Beleuchtung gibt dem ganzen Innern trotz seiner lebendigen und reichen Gliederung eine einheitliche Wirkung.

Wenn nun auch die Architektur selber die herrlichste Zierde des Bauwerks darstellt, so ist es doch schön, dass es auch nicht an Schmuck fehlt, der teils hohen Kunstwert besitzt, teils als Erbe der Vergangenheit und als Erinnerung an die Geschichte der Kirche wertvoll ist. Zwar ist von den alten Kirchenschätzen das Meiste verloren gegangen oder absichtlich vernichtet worden. Aber doch wird ein Gang durch die Kirche uns noch einiges Alte und manches Neue zeigen können. Treten wir durch das Hauptportal ein, so sehen wir rechts und links über den Nord- und Südeingängen zwei schöne, holzgeschnitzte Barock-Aufsätze aus dem 18. Jahrhundert. Der über dem Nordeingang ist ein früher an der Grabkapelle des berühmten Stargarder Bürgermeisters Peter Gröning befindlicher, mit seinem Bilde geschmückter Vorbau. Über dem Südeingang sehen wir das Grabdenkmal des Bürgermeisters Movius, der durch das Moviushospital und die Moviusstiftung seinen Namen für immer in die Geschichte der Stadt Stargard eingetragen hat. An den Wänden der Turmhalle sind einfache Gedenktafeln der in den Freiheitskriegen und in den Feldzügen 1864-1870/71 Gefallenen angebracht. Beim Blick in das Mittelschiff der Kirche fallen die nach alten Mustern hergestellten Kronleuchter ins Auge. Weiter im Hintergrund erhebt sich zwischen den beiden östlichen Pfeilern des Chors der herrliche Barockaltar, der im Jahre 1663 von dem Gewandschneider Püttmann gestiftet, lange Zeit eine besondere Zierde der Kirche war. Jetzt ist er wieder zu Ehren gekommen und erstrahlt in seiner alten Pracht. Unten im Altaraufsatz sehen wir das Abendmahl von dem Stargarder Maler Tetzlaff, in der Mitte die Kopie eines Rembrandt'schen Bildes „Christus vor Pilatus" und oben die Himmelfahrt, die beiden letzteren sind von einem Stettiner Maler Rethel. Das Ganze ist gekrönt von einer Kreuzigungsgruppe. Unten an den Säulen-Sockeln befinden sich die Bilder des Stifters, seiner Ehefrau und seiner beiden Kinder. Links vom sog. kleinen Altar am Choreingang steht die mit reicher Schnitzarbeit versehene Barockkanzel, deren Hauptzierde die Statuen der vier Evangelisten bilden. An dem Pfeiler gegenüber ist ein sehr schönes, in Holz geschnitztes Epitaphium des Generalfeldmarschall von Weiher, gestorben 1680, angebracht, das inmitten von kriegerischen Emblemen das v. Weihersche Wappen zeigt.

Marienkirche kleine Marienkapelle

Wenden wir uns vom Hauptportal zu den Seitenkapellen auf der Südseite, so begrüßen uns dort wie in den anderen Kapellen Bilder früherer Geistlicher der Mariengemeinde. Hier in diesen Kapellen finden wir auch in seiner gotischer Ausführung die herrlichen Glasmalereien, die die Haupttatsachen unseres Christenglaubens darstellen. Sie sind aus der Kunstanstalt Lauterbach-Hannover hervorgegangen. Auf dem ersten Fenster sehen wir Christi Geburt, auf dem zweiten die Weisen aus dem Morgenlande, dann weiter Kreuzigung und Grablegung, Auferstehung und Himmelfahrt und auf dem letzten die Ausgießung des Heiligen Geistes. Unten an den Fenstern sind die Namen der Stifter zu lesen. Bemerkenswert ist auch in der westlichen Südkapelle die gotische Bemalung des Deckengewölbes. Musizierende Engel sind hier dargestellt. - Von den Nordkapellen des Langhauses ist die von Weiher'sche Grabkapelle hervorzuheben, hauptsächlich durch das davor befindliche Spätbarockportal. Es dürfte etwa aus dem Jahre 1730 stammen. In dieser Kapelle befindet sich auch ein alter gotischer Schrank, der wohl zu den schönsten gehört, die aus dem 15. Jahrhundert noch vorhanden sind. Eine Nachbildung von ihm steht im großen Remter der Marienburg. Besonders reich ist der Chor mit Glasmalerei ausgestattet. Hier sind in den oberen Fenstern die kirchlichen Handlungen, abwechselnd mit bedeutsamen Vorgängen aus der pommerschen Kirchengeschichte zur Darstellung gebracht. Wir sehen, wenn wir auf der Nordseite beginnen,Taufe, Einsegnung, Bibelübersetzung, Beichte, die Taufe der ersten Pommern durch Otto von Bamberg 1124, den Landtag in Treptow a. d. Rega 1534, Einführung der Reformation in Pommern, Abendmahl, Gustav Adolfs Landung in Pommern und Trauung. Sieben von diesen Fenstern find ein Erzeugnis der Glasmalerei von Linnemann-Frankfurt a. M., die beiden von Sr. Majestät dem Kaiser gestifteten Fenster (Beichte und Abendmahl darstellend), sind ein Werk des bekannten Glasmalers de Bouchè aus München. Aus der Werkstatt Linnemann rühren auch sämtliche Fenster der Chorkapellen her. Auf ihnen sind hauptsächlich Bilder aus der Geschichte Stargards dargestellt. Von den beiden von der Schützengilde gestifteten Fenstern zeigt das erste die Gilde im 16. Jahrhundert und das zweite die Gilde im 19., auf dem Marktplatz aufmarschiert, an ihrer Spitze ein um die Gilde sehr verdienter Hauptmann Giese. Weiter folgt dann die erste evangelische Predigt in Stargard, der Reiterkampf am Johannistor 1635, der Brand Stargards 1635, die Wiederweihung der Kirche 1661, die Stiftung des Bürgermeisters Gröning: das Peter Gröning-Gymnasium, die Einsegnung der Freiwilligen im Jahre 1813. Endlich sehen wir in der Eingangskapelle den Reichsadler und den um die Herstellung der Marienkirche nach dem Brande 1635 hoch verdienten Martin Loeper mit Darstellungen christlicher Liebestätigkeit. Ganz besonders sind die über der Sakristei befindlichen Fenster zu erwähnen, von denen das eine die Königin Luise darstellt, wie sie im Jahre 1798 von kleinen Mädchen in Stargard begrüßt wird, das andre die Gründung der Pommerschen Landschaft: Friedrich der Große empfängt 1780 in Stargard die Vertreter der pommerschen Stände. Unter den Chorkapellen ragt vor allen durch ihre Malerei die hinter dem Hochaltar befindliche Marienkapelle hervor. Auf dem Bogen sind die fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen dargestellt, auf der Wand links sehen wir die Geburt Christi, auf der Wand rechts den Tod der Maria. Zu beiden Seiten des Fensters ist die Krönung der Maria zur Darstellung gekommen, darüber die Auferstehung und an dem Deckengewölbe Christus als Weltrichter, sowie die Symbole der vier Evangelisten. Die Malerei stammt aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Links daneben befindet sich die von Wenden´sche Grabkapelle, deren Wände mit Renaissancemalerei ungefähr aus der Mitte des 17. Jahrhunderts geschmückt sind. Die beiden Figuren sind das Leben und der Tod, darüber musizierende und palmentragende Engel.

Besondere Aufmerksamheit beansprucht noch die Gröning-Kapelle, wenn auch die Wandgemälde darin auf künstlerischen Wert keinen Anspruch machen können. Sie hat ihren Namen von dem schon erwähnten im Jahre 1631 verstorbenen Bürgermeister Stargards Peter Gröning, der sich durch die Stiftung des sog. Gröning'schen Collegiums, jetziges Königl. und Peter Gröningschen Gymnasiums, um Stargard besonders verdient gemacht hat. Die Kapelle ist eine Begräbnistätte. Im Jahre 1731 wurde sie mit dem darin befindlichen Denkstein und den biblischen Bildern ausgestattet. Der Denkstein in Gestalt einer Pyramide trägt folgende Inschrift:

Hier liegen
Die grünende Gebeine
Des seeligen Herrn
Peter Grönings
Hochverdienten Bürgermeisters
der Stadt Stargard,
und des hiesigen Collegium illustris,
so von Ihm den Nahmen führt,
ruhmwürdigen Stifters.
Ward geboren anno 1561
Starb unter den Kriegs-Troublen,
a. 1631. d. 12. Februarii,
und lebte im hundert-jährigen
dankbaren Andenken wieder auf,
a. 1731.
da dieses Ehren-Gedächtniss
wieder aufgerichtet,
die dermaligen Testamentarii.

Die Beziehung der biblischen Bilder auf das Leben des Peter Gröning, vor allem auf seine Stiftung, das Collegium, hat der im Jahre 1731 amtierende Rektor Werner so gedeutet: Wenn auf dem Bild zur rechten Joseph zu seinen Brüdern sagt: „Ich will Euch versorgen und Eure Kinder", so hat auch Peter Gröning seine Landsleute nicht nur mit leiblichem Unterhalt, sondern auch mit den schönsten Lehren der göttlichen und menschlichen Weisheit versorgt. Wenn Jakob den Stein, auf dem er geschlafen, zu einem Gotteshause salbet, so hat auch Peter Gröning dies Gotteshaus und Prophetenschule unser Collegium gestiftet.Wir sehen ferner, wie ein Toter, der in das Grab des Elisa geworfen war, durch die Berührung mit den Gebeinen des Propheten wieder lebend ward, so können wir auch das Vermächtnis des teuren Gröning nach seinem Code ansehen als ein Grab, darinnen der lebendige Same erweckt wurde, durch welchen Kirche und Stadt blühen und Früchte tragen sollte und was der Prophet Ezechiel auf dem Totenfeld darstellen soll, das ist die Stadt Stargard, wie sie durch einen unglücklichen Brand in Asche gelegt war und wie auch das durch Feuer verheerte Collegium einen erbärmlichen Platz auf dem Totenfelde einnahm. Aber der Prophet verkündigt, dass sie wieder aufleben und auch die Prophetenschule wieder in einen gesegneten Stand gesetzt werden soll. Und über dem allen der Himmel voll Sterne mit der Überschrift: „Und die, so viel zur Gerechtigkeit weisen, werden leuchten wie die Sterne immer und ewiglich", soll die Seligkeit des Stifters deuten, durch welchen auch nach seinem Tode viele zur Gerechtigkeit gewiesen worden."

Blicken wir vom Chor nach Westen, so fällt uns zunächst die Orgel mit ihrer neuen, der Bemalung der Kirche angepassten Färbung ins Auge. Die Orgelbrüstung zeigt, von links nach rechts gesehen, die vier großen Propheten, Johannes den Täufer, Christus, Paulus und die vier Evangelisten. Darunter links das Wappen der Provinz Pommern, rechts das Doppelwappen der Stadt Stargard. Auf der Wand über dem Hauptportal sehen wir einen in blassrot gemalten sehr schönen Barockausbau, dessen Mitte die Inschrift trägt: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit."Im Felde darüber steht: „In Gegenwart Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. und Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Auguste Victoria wurde diese Kirche am 30. August 1911 neugeweiht". Links befindet sich das Mappen Sr. Majestät des Kaisers und Königs und rechts das ihrer Majestät der Kaiserin und Königin.

Ich möchte schließen mit einem Worte eines der besten Kenner und eifrigsten Förderer der Wiederhersteilung der Kirche des schon erwähnten Pastors Redlin. Er hat einmal in einem Vortrag von der Marienkirche gesagt: „Hier ist eine große und reiche Geschichte. Und wer die Marienkirche mit empfänglichem Sinne ansieht und wer namentlich ihre herrlichen Hallen durchwandert, zu dem fangen die Steine an zu reden, und die Gestalten der Väter werden ihm lebendig, Männer voll rechter Tatkraft und edler Begeisterung, Männer, die auch in schwerer Zeit deutsche Beharrlichkeit und ernsten Mannesmut bewährt haben. Wohl möchte man wünschen, dass auch unser Geschlecht diese Sprache noch besser verstünde, und dass sich immer mehr die rechten Meister fänden, auch unserer Jugend dieses Verständnis mehr und mehr zu erschließen."

Marienkirche waagerechtes Band

Verzeichnis der Geber und Gaben

Es schenkten:


Größere Summen für die innere Ausschmückung spendeten: Frau Alma Rasch, Herr Landgerichtspräsident Fabian, Frau Stadtrat Tettenborn, Frau Stadtrat Pinas, Herr Rittergutsbesitzer Bayer-Kitzerow, Herr Architekt Utermann, Herr Oeconomierat Nicolai-Wulkow, Frau Rittergutsbesitzer Ekkardt-Gr.Wachlin, Herr Rittergutsbesitzer von Schöning-Muscherin, Herr Major von Loeper-Mulkenthin, Herr Rittergutsbesitzer Bohm-Streesen, Herr Fabrikbesitzer R. Boldt hier, Herr Zahnarzt Breitkreuz, Herr Apothekenbesitzer Piper, Fräulein Tettenborn u. a. Herr Tischlermeister Ockel zwei Brautstühle, Herr Schlossermeister Zeitz Türbeschläge. Außerdem waren für die innere Ausschmückung noch über 8000 Mark gesammelt worden.

 

zurück zum Inhaltsverzeichnis