Marienkirche Leiste

I. Die Erbauung der Marienkirche

Superintendant Heinrich Brück, Pastor primarius von 1900-??? in der Marienkirche
Stargarder Jahresblatt 1992

Über die Herstellung der Marienkirche sind nur wenige und nicht ganz zuverlässige Nachrichten vorhanden. Wahrscheinlich fällt die Erbauung ihres ältesten Teiles in die unmittelbar auf die Gründung der deutschen Stadt Stargard folgenden Jahre, also in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Zwar befinden sich in dem Knopf der Marienkapelle zwei Urkunden aus den Jahren 1622 und 1642, in welchen übereinstimmend das Jahr 1292 als Gründungsjahr der Kirche bezeichnet wird. Indessen lässt sich doch manches gegen diese Angabe geltend machen. Einmal dies, dass in einer Urkunde aus dem Jahre 1248, in welcher Herzog Barnim I. das Land Stargard von dem Bischof von Cammin eintauscht, gesagt wird, dass sich der Bischof das Patronat über die Pfarrkirche von Stargard vorbehalte: Reservavil ecclesiam in Stargard parochialem, quam Episcopus perpetuo conferet Camminensis. Diese Pfarrkirche ist keine andere gewesen als die Kirche der neuen deutschen Stadt Stargard, denn die Marienkirche ist die einzige Kirche der Stadt, die in allen Urkunden als ecclesia parochialis bezeichnet wird. Sie muss also 1248 wenn nicht schon begonnen, jedoch geplant gewesen sein. Dazu kommt, dass die Bauformen des ältesten Teiles der Kirche mit aller Bestimmtheit auf die Mitte des 13. Jahrhunderts hinweisen. Ferner ist zu bemerken, dass, wenn auch 1622 das später verbrannte Stadtarchiv noch vorhanden war, doch die Urkunden dieser Zeit, die von früheren geschichtlichen Vorkommnissen berichten, nicht immer ganz zuverlässig sind. Aus allen diesen Gründen dürfte darum die Mitte des 14. Jahrhunderts (Es muss wohl Mitte des 13. Jahrhundert heißen) die Entstehungszeit der Kirche sein.

Alte Marienkirche Südseite

Wenn bei der Marienkirche ein früherer und späterer Teil nachgewiesen werden kann, so geht daraus hervor, dass sie nicht aus einem Gusse entstanden ist. Und wirklich kann man schon bei oberflächlicher Betrachtung sehen, wie sich der westliche Teil der Kirche außen wie innen durch feine einfachere, aber wuchtigere Architektur von dem östlichen schlankeren und reicher gegliederten deutlich abhebt. Zudem sind noch so bedeutende Teile von dem ursprünglichen Gotteshause vorhanden, dass man sich von seiner alten Gestalt wohl ein Bild machen kann.

Es war zuerst ein in gotischen Formen gehaltener dreischiffiger Hallenbau mit einem in der Breite des Mittelschiffes sich anlehnenden Altarraum. Das Mittelschiff hatte dieselbe Höhe wie die Seitenschiffe. Noch heute lassen sich die Ansätze eines Gewölbes erkennen, welches den Mittelraum in gleicher Höhe wie die Seiten mit Kreuzgewölben überspannte. Drei achteckige, freistehende Pfeilerpaare von massiger Gestalt trugen die vier Gewölbejoche. Die Pfeiler waren an vier Seiten mit drei an einander gefügten Rundstäben verziert, sogenannten Wanddiensten, die an drei Seiten bis zum Pfeilersockel herunterreichten, an der Westseite jedoch nur bis zur Mitte des Pfeilers gingen. Unter diesen westlichen Wanddiensten erweiterte sich die Pfeilerseite zu einer Art von Wandfläche, die augenscheinlich als Rückwand für einen Altar diente. Oben unter dem Gewölbeansatz schlossen Rundstäbe wie Pfeiler kapitälartig ab. Die breiten Bogenflächen, welche die Pfeiler in der Längsrichtung verbanden, bestanden aus einer Abtreppung reichster Art mit Rundstäben, Friesen usw.

Alte Marienkirche Westseite

Was aber dem Innern einen besonderen Reiz verlieh, war der lebhafte, mittelalterliche Farbenschmuck. Dass er vorhanden war, ist bei der letzten Wiederherstellung unzweifelhaft festgestellt worden. Ein steiles, mächtiges Dach, dessen ursprüngliche Linie an der Ostseite des nördlichen Turmes jetzt noch zu sehen ist, deckte das Ganze. Der Fries unter dem Dache zeigte rote auf den Putz gemalte Halbkreisbogen mit aufgesetzten Spitzbogen. Von den stark ausladenden, nach oben hin in drei Abständen sich verjüngenden Strebepfeilern sind die auf der Nord- und Südseite im oberen Teile jetzt noch vorhanden. An den Fenstern befand sich eine höchst seltene Kunstform - an den Fenstern der Südseite sind sie heute noch zu sehen - nämlich zierliche, aus gebranntem Ton hergestellte Kelchkapitäle, die ganz bestimmt auf die Zeit der Frühgotik hinweisen. Einen Turm hatte die Kirche nicht, doch befand sich auf der Nord- und Südseite des Ostgiebels je ein achteckiger Treppenturm, und außerdem war ein kleiner Dachreiter vorhanden. Die Westseite des alten Kirchengebäudes war durch eine hohe Giebelwand, die jetzt durch die davor gestellten Türme verdeckt ist, abgeschlossen. Dieser Westgiebel hatte ein Haupt- und zwei Seitenportale, über jedem Portal ein Fenster und war weiter nach oben hin mit weißgeputzten, spitzbogigen Blenden verziert. Der Giebel war ein einfacher Treppengiebel, in dessen oberster Spitze sich ein noch jetzt sichtbares Kreuz befand. Diese alte Marienkirche in ihrer massigen und schmucklosen Form muss doch durch ihre in einer Höhe von 20 Meter sich spannenden schönen Kreuzgewölbe, wie sie in den Seitenschiffen jetzt noch erhalten sind, und mit ihrer Mittelschiffbreite von 10 Meter einen erhebenden Anblick gewährt haben.

Doch mehr als über den Beginn des ältesten Teiles der Kirche fehlen sichere Nachrichten über den Weiterbau derselben. Doch geben uns die Bauformen, sowie Urkunden aus späterer Zeit einigen Anhalt. So z. B. weisen die an Portal und Fenstern des nördlichen Turmes vorkommenden Birnstäbe darauf hin, dass das untere Geschoss dieses Turmes in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaut sein muss. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden dann die Teile des Baues, die ihn zu einem der schönsten im norddeutschen Backsteingebiet machen, und die ihm seine hervorragende Stelle in der Kunstgeschichte sichern. Es ist vor allem der herrliche Chorbau, der seinesgleichen nicht im östlichen Deutschland hat nebst der Sakristei und der Marienkapelle, sowie das obere Geschoss des nördlichen Turmes. Die früheste Nachricht über die Erbauung dieser  Teile in dem Visitationsabschied vom Jahre 1583 enthaltene Notiz von einer neuen Kapelle im Jahre 1388. Es muss also damals der Chorbau, der zuerst eine Anzahl zwischen den Strebepfeilern eingebaute, besonders überwölbte Seitenkapellen besaß, soweit gefördert gewesen sein, dass man an die Einrichtung der Kapellen gehen konnte. Die Bedeutung dieser Bauteile besteht am Äußern in dem reichen Blenden- und Rosettenschmuck von verschiedenartigen Ziegeln, wie er sich an den Wandflächen und Pfeilern befindet. Dazu kam eine reiche, rings um das Dach herumlaufende Galerie. Ferner findet sich im Innern eine lebendige, reiche Gliederung mit hohem Triforium, Gitterfries über den Schildbogen und Bildernischen und Spitzgiebeln an den Pfeilern. Die Wirkung dieser lebhaften Gliederung wurde noch erhöht durch eine reiche Bemalung, von der sich bei den letzten Wiederherstellungsarbeiten deutliche Spuren vorgefunden haben. Auf diese malerische Wirkung zielt auch die Pfeilerstellung ab, durch welche, wie im Chor des Freiburger Münsters, für den von Westen kommenden Beschauer sämtliche Fenster durch die Pfeiler verdeckt wurden. Diese Bauteile gehören zu einer Gruppe mit der Marienkirche zu Königsberg i.N.M. und der Katharinenkirche zu Brandenburg a.d. Havel, und zwar ist die erste dieser Kirchen unbedingt als eine bis ins Einzelne gehende Nachahmung anzusehen. Nur dass statt der basilikalen die Hallenanlage gewählt und die vorher erwähnte Pfeilerstellung vermieden ist, während an der Brandenburger Kirche das Äußere der Seitenkapelle noch viel glänzender gestaltet ist, das Innere dagegen ziemlich nüchtern ist. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurde dann die Kirche vollendet. Der alte westliche Teil des Mittelschiffes wurde zu gleicher Höhe mit dem gewaltigen Chorbau aufgeführt, aber ohne dessen reiche und lebhafte Gliederung. An den beiden Seiten des ältesten Teiles wurden nach und nach Kapellen mit besonderem Dache angefügt. Der südliche Turm und die Halle zwischen Nord- und Südturm wurden gebaut. Ferner wurde der Nordturm mit einem Achteck und einer pyramidalen Spitze versehen. So hatte die Kirche die Gestalt erlangt, die ihr bis zum 17. Jahrhundert geblieben ist.

Marienkirche Grundriss

 

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