Die Dreifelderwirtschaft und die Ostwanderung im Hochmittelalter (9. - 13. Jahrhundert)

Prof. Dr. Ing. Alfred Schwichtenberg
1925-2012
Stargarder Jahresblatt 2000

"Ein Staatsmann hat einen größeren Sieg errungen, dem es gelingt, dort, wo bisher ein Halm wuchs, zwei zu ernten, als ein Feldherr,
der einen Sieg errungen hat."

Friedrich II. (1712 - 1786)

Wer kennt nicht die Sage vom Rattenfänger von Hameln an der Weser ? Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm haben dieser Sage in ihrem gemeinsamen Werk "Deutsche Sagen" (1816 - 1818, 2 Bände) ein bleibendes Denkmal gesetzt. Die denkmalgeschützten Gräber beider Brüder Grimm liegen auf dem alten Sankt-Matthäi­Kirchhof in Berlin-Schöneberg.

Die heutigen geschichtlichen Erkenntnisse gehen dahin, dass die Hamelner „Kinder" Auswanderer nach Mährisch Ostrau (heute in der Slowakei liegend) bzw. nach Siebenbürgen (heute in Rumänien liegend) gewesen sind. Dieses Ereignis im Jahre 1284 steht somit im Zusammenhang mit der allgemeinen Ostwanderung von Teilen der Bevölkerung aus dem westdeutschen Sprachraum, zu dem damals auch die Niederlande, Flandern und Teile Ostfrankreichs gehörten. Im niederdeutschen Sprachraum hat diese Ostwanderung der Siedler vorwiegend von den Niederlanden, vom Niederrhein, von Niedersachsen nach Mecklenburg, Pommern, West- und Ostpreußen stattgefunden.

1. Bevölkerungszunahme

Was war der Hauptgrund dieser Wanderbewegung? Es war die große Bevölkerungszunahme infolge des Überganges der Landwirtschaft von der Feldgraswirtschaft zur Dreifelderwirtschaft. Schätzungen gehen dahin, das um das Jahr 800 n. Chr. (Karl der Große) die Bevölkerungsanzahl im deutschsprachigen Raume des Karolinger Reiches etwa drei Millionen betragen hatte. Um das Jahr 1200 (Otto IV., Sohn Heinrich des Löwen) wird die Bevölkerungszahl des gleichen Gebietes auf über 12 Millionen geschätzt. In vier Jahrhunderten hat sich infolge der langsam sich durchsetzenden Dreifelderwirtschaft die Bevölkerung vervierfacht, weil durch die neue Ackerbewirtschaftung ein Mehrfaches an Nahrungsmitteln auf einer gleich großen Fläche erzeugt werden konnte. Was sind nun die grundlegenden Unterschiede der beiden Ackernutzungsarten?

2. Feldgraswirtschaft

Die Feldgraswirtschaft hatte Jahrtausende seit der Sesshaftwerdung der Menschen in Europa die Ernährungsbedingungen bestimmt. Sie kannte keine bewusste und planmäßige Düngung, da eine Stallhaltung des Nutzviehs unbekannt war. In der Regel waren nach zweijähriger Ackernutzung die pflanzlichen Nährstoffe (Phosphor, Kalium und Stickstoff) erschöpft, so dass diese Ackerfläche danach nur noch sehr geringe Erträge brachte. Deshalb blieb die Fläche achtzehn bis zwanzig Jahre als Brache liegen. Während dieser Zeit wurde die ehemalige Ackerfläche als Viehweide genutzt. Durch Mineralverwitterung sowie durch Viehkot und -harn reicherten sich dann in den obersten Bodenschichten die pflanzlichen Hauptnährstoffe und der Humus wieder an, so dass diese Fläche schließlich wieder für zwei Jahre ackerbaulich genutzt werden konnte.

Damit diente jährlich nur rund ein Zehntel der gesamten genutzten landwirtschaftlichen Fläche der Ackerwirtschaft für den Anbau von Nutzpflanzen (Kulturpflanzen). Hierzu gehörten vor der Entdeckung Amerikas vier Getreidearten, Hülsenfrüchte, Öl- und Faserpflanzen zur Herstellung von Textilien.

3. Dreifelderwirtschaft

Bereits in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts (Karolingerzeit ab 751) ist die Dreifelderwirtschaft im westlichen und südwestlichen Frankreich nachweisbar. Von dort breitete sie sich dann im Laufe eines halben Jahrtausends in östlicher Richtung in Europa aus.

Im Gegensatz zur früheren Feldgraswirtschaft führte die Dreifelderwirtschaft mit ihrer Anwendung der bewussten und planmäßigen dreijährigen Düngung des Bodens mit Wirtschaftsdünger (Stallmist und Jauche) zu einer unmittelbaren Verrottung (Humifizierung) des untergepflügten Mistes und damit zur schnelleren Freisetzung der notwendigen wichtigen Hauptnährstoffe. Wegen der Wirkungsweise der Verrottung des Düngers über einen zweijährigen Zeitraum und anschließender einjähriger Brache zur besseren Unkraut- und Schädlingsbekämpfung bei Monokulturen kommt es damit zu einem dreijährigen Kreislauf der Ackerflächennutzung in der Reihenfolge von Winterfrucht, Sommerfrucht (Fruchtwechsel) und einjähriger Brache.

Dreifelderwirtschaft

Dreifelderwirtschaft - Bild aus Wikipedia

Die wichtigste Voraussetzung für diese Dreifelderwirtschaft ist die völlige Umgestaltung der früheren ganzjährigen Weidehaltung des Viehs zugunsten einer notwendigen Stallhaltung. Dabei entwickelte sich das niederdeutsche Hallenhaus, in dem Mensch und Vieh unter einem Dach lebten und im Winter die „Abwärme" des Vieh's sogar als Heizung diente. Erst später wurde eine Scherwand (Trennwand) dazwischen gezogen. Ferner waren eine Futter- und Einstreuvorhaltung erforderlich. Die Stallhaltung hat damit die Sammlung und Speicherung des Stallmistes und der Jauche ermöglicht. Dazu kam dann noch das Ausfahren dieser Wirtschaftsdünger auf die entsprechenden Ackerflächen.

Dieses neue landwirtschaftliche Wirtschaftsverfahren gestattete, dass nur zwei Drittel (67 %) der gesamten landwirtschaftlichen Ackerfläche der jährlichen Nutzpflanzenerzeugung dienen konnte. Die Wiesenflächen für die Verfütterung von Gras und zur Heugewinnung für die Versorgung des Viehs im Winter sollen hier außerhalb der vereinfachten Betrachtung bleiben. Die Dreifelderwirtschaft mit ihrer möglich gewordenen starken Ackernutzung muss als die größte landwirtschaftliche Umwälzung in der europäischen Geschichte der Landwirtschaft betrachtet werden. Aus der extensiven Feldgraswirtschaft entstand damit die intensive Dreifelderwirtschaft.

4. Landerschließung und Ortsbildung

Diese Umstellung in der Nahrungsmittelerzeugung musste zwangsläufig auch Auswirkungen auf das bisherige menschliche Leben bekommen. Zunächst konnten die bisher landwirtschaftlich gemiedenen sandigen und damit weniger fruchtbaren Böden erschlossen werden. Insgesamt war damit eine vielfache Ertragssteigerung der Nahrungsmittel gegenüber der Feldgraswirtschaft möglich, so dass mehr Menschen in dem gleichen Gebiet ernährt werden konnten. Die zwangsläufige Folge war die erwähnte starke Bevölkerungszunahme vom neuten bis zum dreizehnten Jahrhundert.

Bedingt durch diese Bevölkerungszunahme und die beginnende stärkere Arbeitsteilung in den vorwiegend auf die Landwirtschaft ausgerichteten Handwerksberufen (Schmied, Wagner, Böttcher, Müller usw.) begann die verstärkte Entwicklung zu Dörfern und Städten. Diese innere Landentwicklung hatte im westdeutschen Raum zuerst begonnen und setzte sich dann unter gleichen Wirtschaftsbedingungen im Osten fort, nachdem die Dreifelderwirtschaft auch dort Fuß gefasst hatte.

5. Friedliche Landnahme

Bauernsöhne mit ihren Familien, die nach dem damals geltenden Sächsischen Erbrecht (Ältestenerbrecht, d.h. nur der älteste Sohn erhält den Hof - im Gegensatz zur Realerbteilung im süddeutschen Erbrecht) keinen eigenen Hof erhalten konnten, wanderten mit ihrem Wissen über die Dreifelderwirtschaft in die menschenärmeren östlichen Gebiete ab, wo es noch genügend Land gab und in der Regel die Feldgraswirtschaft vorherrschte. Gleichzeitig ging mit dieser Ostwanderung wegen der Landsuche der westdeutschen Bevölkerungsgruppen auch die Christianisierung einher. Allein der Zisterzienser Orden schuf seit seiner Gründung (1098) in den folgenden 50 Jahren 500 Klöster und nach weiteren 50 Jahren erreichte die Zahl seiner Niederlassungen über 1000. Sein Wirken reichte bis an die Weichsel.

Diese Landnahme der bäuerlichen Bevölkerung erfolgte ohne bekannte kriegerische Auseinandersetzungen und ohne Vertreibung der in diesen östlichen Gebieten Mitteleuropas bereits lebenden Menschen. Die ethnische Herkunft der dort ansässigen Bevölkerung ist erst seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts sehr umstritten. Trotz aller Auffassungsunterschiede zweifelt keine der Gruppen von Historikern an der allgemeinen Bezeichnung dieser dort einheimischen Bevölkerung als „Wenden", der als übergeordneter Begriff für die verschiedenen Volksstämme gilt. Der Streit um Aufhellung ihrer Siedlungsgeschichte und Herkunft für den Zeitraum vom fünften bis zwölften Jahrhundert ist noch lange nicht beendet. Das gilt um so mehr, da diese Fragen starke politische Züge angenommen haben. Als Schlagwort soll hier nur der Begriff „alte und neue Slawen-Theorie" erwähnt sein.

Landerschließung in und um Stargard

Die große Ostwanderung erreichte Hinterpommern spätestens im zwölften Jahrhundert. Aus der Zeit vor und während der Einwanderung bäuerlicher Siedler mit der Kenntnis über die Dreifelderwirtschaft macht Joachim Stampa folgende Angaben in seiner Zusammenstellung der Geschichtsereignisse in Stargard:

 

um 1000 Ihnainsel am Großen Wall erhält Palisadenwall (Hinweis: palus, lat. Pfahl, Pfahlreihe), ohne Land Usedom.
um 1100 alte Burg an der Ihna als Hochmotte ausgebaut. (Hinweis: Solche befestigten hohen Erdhügel sind auch vom Niederrhein bekannt)
1124 Stargard erstmalig urkundlich erwähnt. (Hinweis: im Zusammenhang mit der Missionsreise des Bischofs Otto von Bamberg).
1150 Stargard hat innerhalb des geplanten Mauerringes 280 Morgen Größe. (Hinweis:die Größe eines Morgens dürfte sich aber nicht auf den preußischen Morgen mit 2500 qm beziehen).
1150 Die durch Lokatoren organisierte Einwanderung in Pommern beginnt. Zuzug aus Altmark, Magdeburger Gebiet, Niederhein, Westfalen, Niedersachsen, Holstein und Mecklenburg, zu Lande und über See.
1181/82 Bogislaw wird Lehnsträger des Deutschen Reiches und im Feldlager vor Lübeck durch den Staufen-Kaiser Friedrich I (Barbarossa) zum Herzog von Pommern ernannt.
1243 24. Juni, Stargard wird deutsche Stadt nach Magdeburger Recht.

Schrifttum

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