Die Hugenotten in Stargard
aus: Geschichte der Familie Herrlinger

1695 - 1905


Stargarder Jahresblatt 2001
von Wilhelm Benoit, Geh. Baurat a.D.
und Frau Emma, geb. Schultz
zusammengestellt von H.-J. Torff

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640 - 1688) suchte sein Land auf jede Weise durch Förderung des Ackerbaues, Urbarmachung von Wüsteneien, Befreiung der Gewerbe und des Verkehrs von allerhand Schranken und Begünstigung der Einwanderung wieder zu heben. Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 und schon vorher nahm er viele aus Frankreich und den Niederlanden geflüchtete Protestanten in sein Land auf, waren ja 1559 seine Vorfahren auch evangelisch geworden.

Je nach ihrem Beruf und ihrer Wahl wurden die Hugenotten in Städten und auf dem Lande angesiedelt. Auf diese Weise sind die über das damalige Kurbrandenburg zerstreuten französischen Kolonien entstanden, etwa 50 an der Zahl, von denen die meisten 1686 und 1687 gegründet sind, so auch eine in Stargard. Der Große Kurfürst war bemüht, auch der Stadt Stargard die durch den 30jährigen Krieg zerstörte frühere Bedeutung wieder zu verschaffen und eines dieser Mittel war die Gründung einer französischen Kolonie im Jahre 1687. Dieselbe bestand am Anfange aus 37 Familien mit 137 Personen - meist Handwerker, Schuhmacher, Gerber, Bäcker, Perückenmacher, außerdem 2 Prediger u.a. - Sie stammten aus allen Gegenden Frankreichs, besonders aus dem Süden, aber auch aus der Normandie und aus der Pfalz. Ihre Kenntnisse und Fertigkeiten kamen der Stadt zugute.

Die Gärtner haben sich um die Obst- und Baumkultur sehr verdient gemacht. Die ehemalige Provinzial-Baumschule auf dem Platz neben der Wilhelmstraße, wo jetzt das Gymnasium steht, sowie der ehemalige Kornmesser'sche Garten von dem Blücherplatz bis gegen die Schlachtpforte, in dem bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts vorzügliches Obst gezogen wurde, sind auf die Kolonisten zurückzuführen. Der Tabakbau hat wegen des ungünstigen Bodens keinen Erfolg gehabt, die Tabakpflanzer wurden Tabakspinner. Einzelne Ackerbürger auf dem Werder haben später noch Tabak gepflanzt. Auch Seidenbau wurde von einzelnen Kolonisten betrieben, jedoch ohne Unterstützung zu finden. Große Maulbeerplantagen wurden von den Richtern Girard und seinem Nachfolger Dr.de la Brugiere angelegt.

Eines der vielen Gewerbe, welcher die Regierung eine besondere Beachtung entgegenbrachte, war die Gerberei. Diese batte in Pommern noch nicht recht Wurzeln gefasst, weil die Schuhmacher das Leder selbst gerbten oder vom Auslande bezogen. Die einheimischen Häute wurden meist nicht im Lande gegerbt, sondern für billiges Geld exportiert, und das im Auslande gegerbte Leder wurde für teures Geld wieder angekauft. Die Regierung erkannte, dass auf diese Weise große Summen dem Staate verlorengingen, deshalb suchte sie die Gerberei zu heben.

In Frankreich war die Gerberkunst seit Alters her bekannt und stand wegen der Vorzüglichkeit ihrer Fabrikate in hoher Blüte, ebenso war das in Paris gefertigte Schuhwerk von feiner geschmackvoller Arbeit und wurde viel nach auswärts, auch nach Berlin und Kurbrandenburg, exportiert. Unter den eingewanderten Hugenotten befand sich eine große Anzahl Gerber; diese wurde von dem Großen Kurfürsten bei Anlage von Gerbereien mit allen Kräften unterstützt. Zu den Mitgliedern der französischen Kolonie in Stargard gehörte Gerber Royer, aus Metz eingewandert. Die Einfuhr fremden Leders hörte in dem Maße auf, wie die Gerbereien dem Bedarf genügten.

Christoph Herrlinger ist 1695 in Göppingen geboren worden. Er wanderte 1720 nach Stargard ein und hat hier das Gewerbe eines Lohgerbers ausgeübt.

Im Jahr 1663 war die Regierungsbehörde von Kolberg nach Stargard verlegt worden, wo sie bis 1720 mit Ausnahme einiger Jahre geblieben war. Da viele Mitglieder der Regierung, ebenso wie der Kurfürstliche Hof, reformiert waren, so wurde für diese ein reformierter Gottesdienst eingerichtet, jedoch fehlte es an einem geeigneten Lokal. Der aus Lutheranern bestehende Rat der Stadt verweigerte die Hergabe eines solchen, dagegen stellten die Gilden und Gewerbe die Kapelle des ihnen gehörenden St. Jürgen-Hospitals (schon 1356 erwähnt) zur Verfügung, worauf am 14. Mai 1669 die Einweihung erfolgte. Nunmehr bildete sich 1631 eine deutsch-reformierte Gemeinde, dieser ward 1632 der im Jahre 1671 einigermaßen wiederhergestellte Chor der alten Augustinerkirche zur gottesdienstlichen Benutzung eingeräumt. Die französische Kolonie hatte 1637 für sich eine französisch-reformierte Gemeinde gebildet und als Geistlichen David Vincent erhalten. Für ihren Gottesdienst wurde ihr die Augustinerkirche überwiesen, welche im Dreißigjährigen Kriege zum Hospital, Magazin und Stall benutzt, jetzt beinahe eine Ruine war. Der Kurfürst wies die zum Ausbau der Kirche nötige Summe an, doch die städtische Behörde und die lutherische Bürgerschaft setzten den guten Absichten des Landesherrn allen nur möglichen Widerstand entgegen, sie beriefen sich auf ein altes Landesgesetz, das ausdrücklich verbot, den Reformierten jemals in Pommern eine Kirche zu gestatten. Selbst die Behörden waren nicht im Stande, den erregten Fanatismus des Pöbels zu unterdrücken. Am Einweihungstage der Kirche geleitete der Oberpräsident selbst den Prediger in seinem Wagen. Die Glasscheiben seiner Kutsche wurden durch Steinwürfe zertrümmert und sogar ein Pistolenschuss auf ihn abgefeuert.

Um den Reformierten die Benutzung der so lange wüsten Kirche zu schmälern und sein Anrecht darauf zu behaupten, hielt der Kaplan der Johanniskirche, obwohl noch 3 andere lutherische Kirchen vorhanden waren, alle Sonntage von 12.00-13.00 Uhr in der den Reformierten zugewiesenen Kirche eine Predigt. Im übrigen benutzten die Französischen mit den Deutsch-Reformierten die Kirche gemeinsam. Der Kampf der Lutheraner gegen die Reformierten dauerte noch lange Jahre und hat erst in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts einer milderen Gesinnung Platz gemacht. Es ist leicht erklärlich, dass bei derartigen Zuständen die Kolonie nicht sonderlich gedeihen konnte, einige Kolonisten verließen bald die Stadt. Unter den Mitgliedern der Kolonie befand sich auch Antoine Benoit mit seiner Frau Judith geb. Chenin. In den noch vorhandenen Geburts- und Sterberegistern ist Antoine als Planter de Tabac aufgeführt. Er ist etwa 15jährig mit seinen Eltern aus Frankreich geflohen und hat sich in Stargard niedergelassen, nachdem er seiner Wehrpflicht als Sergeant der Infanterie genügt hatte. 1699 hatte er Judith, Tochter des Maurermeisters Charles Chenin zur Zeit in Angermünde, geheiratet, der mit seiner Frau und Tochter aus Sedan geflohen war. Antoine war Tabakpflanzer, wurde aber 1703 Tabakspinner. Ihm wurden 3 Kinder geboren. 1712 ist das vierte Kind Charles gestorben. Seitdem fehlt jede Nachricht über die Familie. Vermutlich ist er mit anderen nach Dänemark gegangen, wo die Kolonie Friedericia gegründet wurde.

Als alte Kolonistenfamilien in Stargard seien noch erwähnt: Hurlin, Frere, Vincent, Espagne (Kaufmann), Dupuis (Bürstenmachermeister), Dr. du Binage (Landgerichtsrat), Langquillon (Kaufmann), Dr. von Chamissow de Boncourt (Chirurg), Centurier (Studienrätin), Dr. Coste (Notar), von Courbiere (Hauptmann), De Beer (Uhrmacher), De Witt (Justizrat / Stadtverordneten-Vorsteher). - Quellenangabe: Stargarder Adressbuch 1925.

Es ist selbstverständlich, dass die französisch-reformierten Gemeinden bei ihrer doch nur geringen Mitgliederzahl innerhalb von Städten, deren Einwohner einer anderen Konfession angehörten, und den Französisch-Reformierten wenig freundlich gegenüberstanden, allmählich abnahmen, ihre Selbständigkeit verloren und sich endlich mit der deutsch-reformierten Gemeinde verschmolzen, wie dies in Stargard im Jahre 1810 geschehen ist.

Die Augustinerkirche mit ihrem im Norden anschließenden prächtigen Kreuzgang, dieses älteste und eines der schönsten Bauwerke der Stadt, 1267 gegründet, hatte zuletzt nur noch als Magazin gedient und wurde, wie bereits erwähnt, 1820 abgebrochen, angeblich weil es dem Gebäude des Gymnasiums Luft und Licht benahm. Dadurch ist nun der große Platz vor dem jetzigen Realgymnasium entstanden. Die Kirche besaß eine der klangvollsten Orgeln im ganzen Pommernlande. Das Gymnasium, in dessen Aulasaal bis 1882 der Gottesdienst der reformierten Gemeinde abgehalten wurde, war von dem verdienstvollen Bürgermeister Peter Gröning.

Christuskrche

Vom Jahre 1882 ab fand der reformierte Gottesdienst in der Aula des an die jetzige Stelle vor dem Pyritzer Tor verlegten neuen Gymnasialgebäudes statt. Das bisherige Gymnasialgebäude erwarb die Stadt und es befindet sich jetzt darin das Realgymnasium. Durch die Freigebigkeit einer Lehrerwitwe hat die Gemeinde ein eigenes Gotteshaus erhalten. Sie hat der reformierten Gemeinde eine größere Summe testamentarisch vermacht, die für den Kirchenbau verwendet worden ist. Die Kirche, unter dem Namen Christuskirche, steht vor dem Johannistor in einem parkartigen Schmuckplatze, dem früheren Friedhofe der reformierten Gemeinde. Sie bietet der Gemeinde, nach mehr als 200jährigem Bestehen, die Sicherheit, nicht wieder eine andere Stätte für ihren Gottesdienst aufsuchen zu müssen. Älteste der Reformierten Gemeinde (Christuskirche) waren u.a. die Herren G. Dupuis und Dr. der Vinage, um 1925.

Ludwig XIV. hob 1685 das Edikt von Nantes aus dem Jahr 1598 auf. Dieses sollte den Hugenotten die Ausübung ihrer Religion in Frankreich garantieren. Da Ludwig für die Sicherung seiner Macht auf die katholische Kirche setzte, wurden die Nichtkatholiken, vor allem die Hugenotten, vertrieben.

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