Das Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) Stargard

H.-Jürgen Torff
Ehrenvorsitzender Heimatkreis Stargard
Zusammengestellt aus veröffentlichten Unterlagen
Stargarder Jahresblatt 1996

Als 1856 die Berlin-Stettiner Eisenbahn den Bau der hinterpommerschen Eisenbahn von Stargard nach Köslin mit dem Abzweig Belgard-Kolberg beschloss, war klar, dass die bisherigen Werkstätten in Berlin und Stettin für die neuen Strecken benötigten Fahrzeuge nicht ausreichen würden. Es wurde daher in Stargard eine für damalige Verhältnisse größere Reparaturwerkstatt gebaut, die am 30. Mai 1859 eingeweiht werden konnte. Zunächst wurden 11 Beamte und 100 Arbeiter beschäftigt. Schon 1870 musste die Lokomotivhalle erweitert werden, 1886 die Wagenwerkstatt.

RAW Eingang

Garbestraße Eingang zum RAW

1879 wurde die Gesellschaft und damit auch das Reparaturwerk verstaatlicht. Am 1. Mai 1882 kam es zur Einrichtung einer Lehrwerkstatt, die 1920 wesentlich erweitert wurde. Am 1. April 1889 waren bereits 35 Beamte beschäftigt, bis zum 31. Juli 1909 war die Beschäftigungszahl auf 50 Beamte und 800 Arbeiter gewachsen. Durch die besonderen Erfordernisse des ersten Weltkriegs stieg die Belegschaft auf rund 1200 Köpfe, darunter viele Frauen. In dieser Zeit wurde auch Wesentliches gebaut. So konnte 1916 die neue Schmiede, 1919 gar die neue Lokhalle mit 54 Ständen und ein neues Kesselhaus in Betrieb genommen werden. Als die heimkehrenden Soldaten wieder eingegliedert werden mussten, wuchs die Belegschaft vorübergehend auf 139 Beamte und 2211 Arbeiter an. Rationalisierungsmaßnahmen und die Wirtschaftskrise erzwangen dann eine allmähliche Reduzierung auf 172 Beamte und 1217 Arbeiter im Jahre 1932.

In Durchführung der Neuorganisation des Werkstättenwesens der Deutschen Reichsbahn wurde die Hauptwerkstatt Stargard am 1. Januar 1923 in ein Ausbesserungswerk umgestellt. Anstelle der bis dahin vorhandenen 3 Werkstättenämter wurden unter der einheitlichen Leitung durch einen Werkdirektor 6 Abteilungen gebildet, und zwar Verwaltungs-, Technische-, Lokomotiv-, Wagen-, Stoff- und Zubringerabteilung, von denen die letztere jedoch im Jahre 1926 wieder aufgelöst wurde. Vom Oktober 1924 bis zum April 1925 war dem Werk vorübergehend die frühere Hauptwerkstatt Stolp mit 29 Beamten und 189 Arbeitern und Lehrlingen als Betriebsabteilung angegliedert. Im April 1925 wurde dieser Teilbetrieb als Betriebswagenwerk dem Maschinenamt Stolp unterstellt.

RAW Erste Ausbaustufe

RAW Erste Ausbaustufe

Die Umorganisation des Werkstättenwesens führte im Jahre 1925 zur Bildung der „Geschäftsführenden Direktionen für das Werkstättenwesen" (G.D.W.), und das Werk Stargard ging damit am 1. April 1925 aus dem Bereich der BRD Stettin auf die G.D.W. Berlin über. Folgende große Betriebserweiterungen oder Umstellungen sind in diesem letzten Zeitabschnitt vorgenommen worden:

1925:
Inbetriebnahme der neuen Kesselschmiede mit Rohrwerkstatt und Kesselreinigungsanlage, Erweiterung der ortsfesten Dampfkesselanlage durch einen dritten Wanderrostkessel von 220 Quadratmetern Heizfläche.

1926:
Inbetriebnahme einer Sauerstofferzeugungsanlage von 20 Kubikmetern Stundenleistung, Umstellung der Güterwageninstandsetzung auf Fließarbeit, Stilllegung der Personenwagenausbesserung.

1927:
Inbetriebnahme einer Triebwagenwerkstatt in der früheren Kesselschmiede, desgleichen einer automatischen Fernsprechvermittlung, Einrichtung einer zentralen Holzbearbeitungswerkstatt, die sämtliche Güterwagenwerke des G.D.W.­Bezirks Berlin mit fertigen und vorgearbeiteten Ersatzstücken versorgt.

1928:
Errichtung einer Holztrockenanlage für eine Jahresleistung von 26000 Kubikmetern Weichholz.

1929-1932:
Umstellung der Lokomotivwerkstatt auf einen an festen Arbeitsakt gebundenen Betrieb, Einführung von Fließarbeit für zahlreiche Einzelfertigungen.

RAW Gesamtansicht

RAW Gesamtansicht

Die Entwicklung der bebauten Grundfläche des Werks war 7690 Quadratmeter im Jahre 1859, 35160 Quadratmeter im Jahre 1909 und 71723 Quadratmeter im Jahre 1934. Gegenwärtig (1934) ist das Werk sehr gut beschäftigt und die Belegschaft im Zunehmen begriffen, eine Tatsache, in der sich die allgemeine Belebung der Wirtschaft spiegelt. 175 Beamte und 1495 Arbeiter sind vorhanden, damit steht Stargard unter den Betrieben Pommerns an zweiter Stelle.

RAW Arbeiter

 

Aber solche Zahlen geben für das Wesen und die Eigenart des Werks doch nur ein unvollkommenes Bild. Es sollen deshalb noch einige Angaben über seine Aufgaben und vor allem seine Leistungen gemacht werden.

Das Reichsbahnausbesserungswerk Stargard hat 540 Lokomotiven neuerer Bauart, 17 große Akkumulatoren-Doppeltriebwagen, 90 Schienenfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und 473 Güterzuggepäckwagen zu unterhalten, ferner untersucht es Güterwagen und stellt solche mit schweren Schäden wieder her, soweit sie in einem bestimmten Zuführungsgebiet aufkommen.

Durch Anwendung neuzeitlicher Arbeitsmethoden, entwickelt mit Hilfe wissenschaftlicher Betriebsführung und gehandhabt durch eine gut ausgebildete und fachkundige Arbeiterschaft, ist es gelungen, die Leistungen des Werkes nicht nur mengenmäßig, sondern besonders hinsichtlich der Wiederherstellungsdauer der Fahrzeuge und der Arbeitsgüte ganz wesentlich zu steigern.

Zu den Eisenbahnen und deren Ämter unter der Reichsbahndirektion Stettin waren in Stargard insgesamt vertreten:

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